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Junge Welt 6.3.2001 Warum ich einen Aufruf »als Jude« unterschrieben habe (Teil 1)Von Daniel Ben Sa'd
*** Nach Beginn der zweiten Intifada kam es letzten Herbst in Frankreich zu einer Welle antisemitischer Gewalt, getragen von Jugendlichen arabischer Abstammung, faschistischen und fundamentalistischen Gruppen: Brandanschlaege auf Synagogen, Pluenderungen juedischer Geschaefte, antisemitische Schmierereien an Mauern und Haeuserwaenden. Dagegen meldeten sich juedische Intellektuelle mit einem Aufruf in Le Monde zu Wort, der die Zurueckweisung dieser Gewalttaten mit einer Kritik der Politik des israelischen Staates gegenueber den Palaestinensern verband. Zu den Unterzeichnern gehoerten unter anderem Mireille Abramovici, Daniel Ben Sa'd, Esther Joly, Janette Habel, Marcel-Francis Kahn, Pierre Khalfa, Hubert Krivine, Michael Loewy, Catherine Samary, Laurentz Schwartz und Daniel Singer.
Die Logik des Krieges scheint zu obsiegen und ein vielleicht irreversibler Schritt beim Marsch in die Katastrophe beinahe gemacht. Die Mehrheit der westlichen Kommentatoren hatte in der Ethnisierung der Balkan-Krise das monstroese Produkt der Zersetzung der nationalistischen buerokratischen Regimes sehen wollen (wobei sie aus offensichtlich ideologischen Gruenden darauf bestehen, diese Regimes als »kommunistisch« zu bezeichnen). Wir entgegneten dem, daß, wenn es sich da um die letzten Verwerfungen einer zerfallenden Ordnung handeln wuerde, das Phaenomen, so tragisch es auch sei, begrenzt waere undAusnahmecharakter haette. Wir vertraten, daß es sich leider um eine tiefere allgemeine Tendenz zur Ethnisierung und Konfessionalisierung der Politik handelt, um eine Folge der imperialistischen Globalisierung und der Schwaechung des Bezugs auf Klasseninteressen. Diese Gefahr, die Hannah Arendt im ersten Band zu den Urspruengen des Totalitarismus benannte, ist in Afrika und in bestimmten Regionen Asiens bereits manifest. Die Entwicklung des israelisch-palaestinensischen Konflikts laeßt ein aehnliches Abgleiten befuerchten. Im international reaktionaeren Kontext der liberalen Konterreform nehmen nationale Befreiungskriege immer oefter die Erscheinungsweise von Religionskriegen an. Die politischen Konflikte schlagen um in Kaempfe zwischen Staemmen oder anderen verschiedenartig definierten Gemeinschaften. Die enttaeuschten demokratisch-nationalen Forderungen fuehren zu einer Abwendung von laizistischen und staatsbuergerschaftlichen Definitionen der Nation und suchen ihre Begruendungen in irgendwelchen Abstammungsmythen. Dieser Naturalismus oder Biologismus fuehrt zu einer »zoologischen« Konzeption der Nation. Wohin soll das fuehren, wenn heute israelische religioese Fuehrer die Vertreibung der Palaestinenser mit dem chronologischen Vorrang des Tempels von Salomon oder des Josephsgrabs gegenueber den heiligen Staetten des Islam begruenden? Wird morgen irgendein tumber Papst-Anhaenger die Israelis von heute anklagen, an ihnen klebe noch immer das Blut des Gekreuzigten? Diese Logik ist aber tatsaechlich im Gesetz ueber das Rueckkehrrecht der Juden aus der Diaspora am Werke, denen das Recht der Erlangung der israelischen Staatsbuergerschaft zusteht. Sie laeuft darauf hinaus, auf die Juden das Blutrecht anzuwenden, das wir in Deutschland oder in Frankreich entschieden verurteilen, waehrend den Palaestinensern das territoriale Staatsbuergerrecht und das Recht auf Grund und Boden verweigert wird. Dieser Konflikt muß also repolitisiert werden, um ihn zu entkonfessionalisieren. In dem zugrundeliegenden Konflikt stehen sich in Wirklichkeit nicht zwei geschlossene Religionen oder Identitaeten gegenueber. Der Konflikt durchzieht vielmehr beide »Gemeinschaften« und weist in der Optik der gemeinsamen Zugehoerigkeit zur Menschheit ueber sie hinaus. Je mehr an alle Juden appelliert wird, hinter dem Staat Israel und seinen Regierenden zusammenzustehen, je mehr die gesamte Diaspora mit dem juedischen Staat und alle Juden mit dem Zionismus identifiziert werden, desto mehr werden junge Palaestinenser und Araber in den Irrtum getrieben, israelische Botschaften und Synagogen in einen Topf zu werfen und Antizionismus mit Antisemitismus zu vermengen. Nachdem der Antisemitismus schon einmal der »Antikapitalismus der dummen Kerle« war, koennte er nun zum »Antiimperialismus der dummen Kerle« werden. Die Aufrufe zur heiligen Allianz der ethnisch, religioes, geschichtsmythologisch begruendeten Gemeinschaft tragen ihr geruettelt Maß an Verantwortung dafuer. Darum habe ich in Frankreich »als Jude« einen Aufruf von zweihundert Juden in Solidaritaet mit den Rechten der Palaestinenser unterschrieben. Ohne jede Absprache entstanden aehnliche Initiativen in den Vereinigten Staaten, in England, Kanada und Australien. Der Ansatz ist ungewoehnlich (vor zwanzig Jahren haette ich mir so etwas gar nicht vorstellen koennen) und sollte eine Ausnahme bleiben. Zum Teil erklaert er sich aus dem beschaemenden Schweigen der offiziellen Linken angesichts der zionistischen Uebergriffe in den besetzten Gebieten, gegenueber der Mißachtung der UNO-Resolutionen und des Abkommens von Oslo seitens der israelischen Regierungen. Er rechtfertigt sich durch die Weigerung, gegen den eigenen Willen im Namen einer vorgeblichen kommunitarischen Gemeinschaft in die Gefolgschaft des israelischen Staates gezwungen zu werden. Persoenlich verstehe ich mich zuerst als laizistischen und internationalistischen Aktivisten und als Staatsbuerger des Landes, in dem ich lebe und arbeite. Als Jude bezeichne ich mich nur unter zwei Umstaenden: Gegenueber Antisemiten, in der Erinnerung an die Leiden der Vergangenheit, und gegenueber Zionisten, die vorgeben, in meinem Namen zu sprechen. Natuerlich geraet man dabei in Widersprueche. Doch diese Widersprueche sind ein Produkt der Geschichte. Der Massenmord der Nazis an den Juden war eine hundertprozentig europaeische Tragoedie, so wie die Dreyfus-Affaere eine hundertprozentig franzoesische Angelegenheit war. Dieser Massenmord hat die Unausweichlichkeit der Assimilation dem Zweifel ausgesetzt: »Wie Phoenix ist das Judentum aus der Asche von sechs Millionen Juden wiedererstanden. Was fuer eine Auferstehung!« vermerkte Isaak Deutscher im Ton der Verzweiflung. Der buerokratische Antisemitismus der stalinistischen Sowjetunion hat die »sozialistische« Emanzipation der Juden dem Zweifel ausgesetzt. Die Gruendung des Staates Israel war Vergegenstaendlichung der - rationalen und irrationalen - Aengste der Diaspora und hat jenen »seltsamen Zionismus« hervorgebracht, den Wladimir Rabi als »geliehenen Zionismus« bezeichnete. So hat die Geschichte entschieden, die »Judenfrage« in morbider Weise erneut zuzuspitzen. Darum zwingen mich gewisse konkrete Situationen, mich selbst als Juden zu bezeichnen, nicht als Ausdruck irgendeiner Wesenhaftigkeit oder Naturbedingtheit, sondern als Notwendigkeit in einer bestimmten gesellschaftspolitischen Konstellation. Als nichtjuedischen Juden gewissermaßen, im Sinn einer Herausforderung. Dazu fuehle ich mich heute durch den Diskurs der israelischen Fuehrung und der offiziellen Sprecher der juedischen Gemeinschaften gedraengt, die alle Opfer des Massenmordes an den Juden vereinnahmen wollen. Sie verfaelschen damit ein Erbe, begehen einen (bewaffneten) Ueberfall auf die geschichtliche Erinnerung, eignen sich in illegitimer Weise das kollektive Unglueck an. Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1422 / 2001 |