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Keine Zukunft ohne Dialog!

Vortrag von Dr. Martin Bauschk, Berlin, beim 20jähren Jubiläum der Christlich Islamischen Gesellschaft am 4. Mai 2002 in Mülheim/Ruhr

Verehrter Herr Weihbischof Vorrath, lieber Sheikh Bashir, liebe christliche und muslimische Brueder und Schwestern, meine sehr geehrten Damen und Herren,

es ist mir eine grosse Freude, heute mit Ihnen das 20jaehrige Bestehen unserer Christlich-Islamischen Gesellschaft zu feiern; und es ist eine besondere Ehre, dass ich gebeten wurde, zu diesem Anlass einen Vortrag zu halten - ausgerechnet ich, der ich zwar seit rund 10 Jahren Mitglied der CIG bin, aber leider noch nie die Moeglichkeit hatte, an einer Mitgliederversammlung teilzunehmen... Ich werde zunaechst etwas zum Dialog der Kulturen und Religionen generell sagen. In einem zweiten Punkt komme ich auf die besondere Bedeutung des christlich-islamischen Dialogs zu sprechen. In einem dritten Teil spreche ich ueber aktuelle Hindernisse und Moeglichkeiten zur Foerderung dieses Dialogs. Den Schluss bildet eine kurze Meditation ueber unsere Gesellschaft als "Windmuehle des Dialogs" in Deutschland. Also zunaechst

1. Der Dialog der Kulturen und Religionen

Als theologischer Mitarbeiter von Hans Kueng in der Stiftung Weltethos kann ich nicht ueber den christlich-islamischen Dialog sprechen, ohne den Horizont eines globalen Dialogs der Kulturen vor Augen zu haben. Auf der anderen Seite muss ich als Religionswissenschaftler zugleich den christlich-islamischen Dialog einbetten in den Kontext der weltweit zu beobachtenden Renaissance der Religionen in Gestalt von Fundamentalismus und Esoterik. Zu diesen beiden Kontexten sind einige Bemerkungen notwendig.

Wir beobachten seit dreissig Jahren beides zugleich: den Religionsschwund und die Konjunktur von Religion. Auf der einen Seite nimmt die Zahl derjenigen Menschen, die sich als a-religioes verstehen, in Deutschland und in Europa insgesamt zu. Agnostiker, Freidenker, Atheisten oder Humanisten ohne Religion machen weltweit inzwischen 15 bis 20% aus. Auf der anderen Seite ist nach dem Ende der grossen Ideologien des 20. Jahrhunderts (Marxismus-Leninismus, Faschismus, Nationalsozialismus, Stalinismus) eine Renaissance der Religionen festzustellen. Das bedeutet: wir muessen die sog. Saekularisierungsthese revidieren. Die Saekularisierung in den meisten Laendern Europas ist - im globalen Vergleich betrachtet - ein Sonderweg, ein Ausnahmephaenomen. Ausserhalb Europas laesst sich feststellen: die meisten Laender sind nach wie vor oder staerker denn je religioes gepraegt. Der Religionsschwund ist kein globales, sondern ein regionales Phaenomen. Modernisierung fuehrt nicht automatisch zur Saekularisierung, wie das Beispiel hochentwickelter Gesellschaften in Japan, Singapur oder den USA zeigt.

Vor dem Hintergrund des 11. September hatte Juergen Habermas in Frankfurt im Oktober anlaesslich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von der "postsaekularen Gesellschaft" gesprochen. Damit meinte er nicht die Rueckkehr zu einer religioesen Gesellschaft nach dem Muster einer Staatsreligion oder gar eines Gottesstaates. Wohl aber eine Gesellschaft, die sich der Religion als einer Identitaet stiftenden, Werte und Normen vermittelnden Macht neu bewusst wird und sie als solche auch wuerdigt, statt sie ins Abseits, ins Private abzudraengen.

Ohne die wachsende Praesenz des Islams in Deutschland und Europa waere das Thema "Religion" bei uns in Politik und Gesellschaft wohl kaum mehr so aktuell geworden. Nun aber kommt niemand mehr daran vorbei. Entgegen allen atheistischen Prognosen erweist sich der Mensch als ein nach Sinn und Akzeptanz hungerndes Wesen, das ohne "Religion" in welcher Form auch immer nicht auskommen kann. Religion ist nach wie vor ein ausschlaggebender Faktor fuer die Identitaet ganzer Kulturen und zahlloser Gesellschaften. Die Moderne war gekennzeichnet vom Niedergang der Religionen, ihrer Privatisierung und Marginalisierung - die Spaet- oder Postmoderne hingegen ist gepraegt von der Renaissance der Religionen, leider auch ihrer Politisierung und Ideologisierung.

Der iranische Staatspraesident Khatami hatte 1998 in einer Rede vor der UNO in New York vorgeschlagen, ein Jahr des "Dialogs der Kulturen" auszurufen. Diesen Vorschlag nahmen bekanntlich die Vereinten Nationen auf: sie riefen das Jahr 2001 zum Jahr des "Dialogs der Kulturen" aus. Im Zusammenhang dieses Jahres sollte eine internationale Expertengruppe fuer die UNO ihre Vorstellungen von einem neuen Paradigma internationaler Beziehungen zusammentragen: als Alternative zu den politischen und religioesen Fundamentalismen unserer Zeit.

Schon lange vor dem 11. September 2001 war offenkundig: ein neues Paradigma internationaler Beziehungen muss sich dem Dialog der Kulturen verpflichten. Dieser basiert auf der Einsicht in die Kultur des Dialogs, auf der Einsicht in die zivilisierende und humanisierende Wirkung unmittelbarer Verstaendigung gleichberechtigter Partner. Freilich: wie soll dieser Dialog konkret ansetzen, wenn er denn tatsaechlich das friedensstiftende Potential der Kulturen, die versoehnende Kraft der Religionen entbinden soll, statt im Gegenteil die Gemueter erst recht anzuheizen und alles noch schlimmer zu machenss Schon das Zweite Vatikanische Konzil hatte den richtigen Weg eingeschlagen, indem es bei denjenigen Punkten ansetzte, die den Religionen gemeinsam sind. Dieselbe Richtung verfolgt das von Hans Kueng betriebene "Projekt Weltethos", das 1993 vom Parlament der Weltreligionen in Chicago mit der "Erklaerung zum Weltethos" bekraeftigt wurde.

Ein Dialog der Kulturen und Religionen, der
1. nicht bei den Differenzen, sondern bei den Gemeinsamkeiten ansetzt und der
2. nicht auf religioese und weltanschauliche Inhalte abzielt (die Ebene der Dogmen, der Glaubensinhalte), sondern primaer die Ebene des Ethischen, also die Frage nach gemeinsamen Werten und Normen thematisiert - nur ein solcher Dialog scheint offensichtlich in der Lage zu sein, weltweit den Frieden der Nationen, Religionen und Kulturen zu foerdern.

So sieht es inzwischen auch die UNO. Im November 2001 uebergab die Expertengruppe ein Manifest an Kofi Annan. Zur Gruppe gehoeren u.a. Altbundespraesident Richard von Weizsaecker, Prinz El-Hassan bin Talal von Jordanien, Hanan Ashrawi (sie war Sprecherin der Palaestinensischen Delegation beim Nahostfriedensprozess 1991 bis 1993) und Hans Kueng. Der Titel des Manifests in deutscher Uebersetzung lautet: "Bruecken in die Zukunft. Ein Manifest zum Dialog der Kulturen" (Ende 2001 im Fischer-Verlag erschienen). Es enthaelt dieselben beiden Hauptstichworte wie das Thema, das mir fuer den Vortrag heute vorgegeben wurde: "Dialog" und "Zukunft". Wir stehen vor der Alternative: entweder wir waehlen den Kampf der Kulturen und setzen das Freund-Feind-Denken, den Dualismus von Glaeubigen und Unglaeubigen fort. Oder wir entscheiden uns fuer den Dialog der Kulturen und setzen uns ein fuer eine globale Entfeindung und Anfreundung der Nationen und Religionen...

Das Parlament der Weltreligionen hat sich 1993 fuer den Dialog entschieden. Die UNO-Vollversammlung hat im November 2001 einstimmig eine "Globale Agenda fuer den Dialog der Kulturen" auf ethischer Basis proklamiert. Jeder regionale bilaterale Dialog - auch der zwischen Christen und Muslimen in Deutschland - sollte sich dieses groesseren Rahmens bewusst sein, den das Parlament der Weltreligionen und die UNO bilden: ihre doppelte Verpflichtung auf ein gemeinsames Ethos und auf eine Kultur des Dialogs umgreift und traegt unsere eigenen Aktivitaeten hierzulande.

Keine Zukunft ohne Dialog - das heisst also erstens ganz generell, mit den beruehmten Worten Hans Kuengs: "Kein Ueberleben (sc. der Menschheit) ohne Weltethos. Kein Weltfriede ohne Religionsfriede. Kein Religionsfriede ohne Religionsdialog." Ein zukunftsfaehiger Dialog der Kulturen muss die Religionen einschliessen. Ein zukunftsfaehiger Dialog der Religionen muss ihre Gemeinsamkeiten in den Vordergrund ruecken, damit sie zur Achtung voreinander und zur Versoehnung miteinander finden. Der Dialog ist ein Mittel zur Selbstzivilisierung nicht nur der Kulturen, sondern auch der Religionen. So ist er zugleich das wirksamste Mittel gegen fundamentalistische Verirrungen in Religion und Politik.

2. Die besondere Bedeutung und Notwendigkeit des christlich-islamischen Dialogs

Innerhalb des grossen Dialogs der Kulturen besitzt der christlich-islamische Dialog absolute Prioritaet. Christentum und Islam sind mit Abstand die beiden groessten, einflussreichsten und am schnellsten wachsenden Religionen weltweit. Nominell gehoeren ihnen zusammen mehr als drei Milliarden Menschen an. Gelingt auch nur dieser bilaterale Dialog, waere buchstaeblich bereits die halbe Welt befriedet. Scheitert dieser Dialog, scheitern die liberalen und gemaessigten Kraefte in beiden Religionen, werden sich hueben und drueben die fundamentalistischen Stroemungen durchsetzen, die mit Kreuzzuegen und bewaffnetem Dschihad einen globalen Flaechenbrand entzuenden koennten.

Auch in Deutschland und Europa ist der Islam zur zweitstaerksten Religion geworden. Die Muslime sind dabei, ihre Religion auf diesem Kontinent zu inkulturieren, aehnlich, wie das vor langer Zeit das Christentum getan hat. Muslime haben begonnen, einen europaeischen Islam zu schaffen, umso mehr, als Hundertausende dieser Muslime geborene Europaeer sind. "Muslimsein" und "Europaeersein" bedeutet fuer die meisten von ihnen keinen Widerspruch. Der Islam ist dabei, ein integraler Bestandteil, ein neues Merkmal der europaeischen Identitaet - nicht nur der europaeischen Geistes- und Kulturgeschichte - zu werden.

Die vor kurzem vom Zentralrat der Muslime in Deutschland veroeffentlichte "Islamische Charta" hebt auf diese Entwicklung in Art. 15 ab, in dem es heisst: "wir foerdern ein zeitgenoessisches Verstaendnis der islamischen Quellen, welches dem Hintergrund der neuzeitlichen Lebensproblematik und der Herausbildung einer eigenen muslimischen Identitaet in Europa Rechnung traegt." Aufgabe des christlich-islamischen Dialogs ist es, dass Christen die Muslime bei dieser Schaffung eines "Euro-Islams", einer zeitgenoessischen europaeisch-islamischen Identitaet unterstuetzen. Von solcher Unterstuetzung wird auch eine zeitgemaesse christlich-europaeische Identitaet profitieren, denn jeder echte Dialog ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen.

In einer Dezember-Ausgabe DES SPIEGEL (Nr. 51/2001, 44-56) war ein Artikel ueber den "verlogenen Dialog" zwischen Christen und Muslimen hierzulande erschienen, der mich sehr veraergert hat. Nicht der Dialog ist verlogen, sondern dieser Artikel, der gespickt ist mit Einseitigkeiten und Halbwahrheiten. Ich hatte leider keine Zeit, einen Leserbrief zu schreiben, moechte aber an dieser Stelle den christlich-islamischen Dialog ausdruecklich in Schutz nehmen - zumindest, was das Engagement der diversen christlich-islamischen Gesellschaften in Deutschland betrifft. Diese werden in dem Artikel mit keinem einzigen Wort erwaehnt.

Stattdessen wird gleich zu Beginn in Frage gestellt, dass Christen und Muslime an denselben Gott glauben. Auch wenn es natuerlich Unterschiede gibt in ihren Gottesbildern und Gotteserfahrungen, auch wenn es keinen objektiven Beweis fuer die Selbigkeit Gottes in beiden Religionen gibt - wir Christen und Muslime in der Christlich-Islamischen Gesellschaft behaupten nicht abstrakt und theoretisch die Selbigkeit unseres Gottes: es ist schlicht unsere gemeinsame Glaubenserfahrung im praktizierten Dialog.

Der Koran bestaetigt uns das in Sure 29 schon laengst; dies tun auch offizielle kirchliche Verlautbarungen. Das Zweite Vatikanische Konzil erklaerte 1964 in "Lumen gentium", dass die Muslime "mit uns (sc. den Christen) den einzigen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Juengsten Tag richten wird." 1969 formulierte der Oekumenische Rat der Kirchen im Schlussdokument des ersten Dialogtreffens mit Vertretern des Islams in Cartigny: "Judentum, Christentum und Islam gehoeren nicht nur historisch zusammen; sie sprechen von demselben Gott, Schoepfer, Offenbarer und Richter." Leider hat sich das bis heute weder bei Journalisten noch unter gewissen Christen und Kirchenleitungen herumgesprochen.

Christen und Muslime sind in der gluecklichen und gesegneten Lage, dass sie mehr miteinander verbindet als ein gemeinsames Ethos. Es ist ein Gott, der uns eint. Darum muessen wir wechselseitig respektieren, dass Gott unsere beiden Religionen als echte und rechte Heilswege gewollt hat. Gott hat sich Jesus und Muhammad offenbart! Daher kann unser Dialog auch nur funktionieren, wenn wir einander auf gleicher Augenhoehe begegnen, mit derselben Wuerde und Legitimation "vom Himmel her", nicht herablassend, sondern echt bruederlich und schwesterlich.

Was aus meiner Sicht keine Aufgabe des christlich-islamischen Dialogs ist, will ich sogleich betonen: eine Allianz gegen den Atheismus zu schmieden und gemeinsam gegen angeblich gottlose Gebraeuche in unserer Gesellschaft vorzugehen, wie das seit Jahrzehnten Vertreter auf beiden Seiten immer wieder fordern. Kehren wir Christen und Muslime erst einmal vor unseren eigenen Haustueren! Wir sollten versuchen, mit den extremistischen Kraeften mitten unter uns ins Gespraech zu kommen. Denn sie diskreditieren das Ansehen unserer Religionen in der Oeffentlichkeit; sie vergiften das christlich-islamische Dialogklima. Wie koennen wir Missstaende der Gesellschaft anprangern, wenn unsere Religionen ihre Hausaufgaben nicht machen und sich selber nachhaltig zivilisieren und humanisierenss

Der Dialog nach aussen, mit Atheisten und Materialisten, wird glaubwuerdig, wenn der Dialog nach innen mit den rueckwaertsgerichteten Stroemungen in unserer Mitte aufgenommen wird. Im Dialog prallen nicht einfach, wie der SPIEGEL-Artikel behauptet, "Mittelalter und Postmoderne ungebremst aufeinander" - "Mittelalter" steht hier fuer Islam und "Postmoderne" fuer Christentum -, sondern: Mittelalter und Postmoderne sind Einstellungen, die quer durch beide Religionen hindurchgehen. Und, fuege ich ausdruecklich hinzu, auch quer durch die saekulare Gesellschaft, die zum Teil gleichfalls noch hoechst mittelalterliche Vorstellungen ueber "den Islam" hat.

Hueten wir uns vor Pauschalisierungen! Seien wir uns bewusst: jede Religion, jede Kultur und Gesellschaft hat viele Gesichter! Es gibt nicht den (rueckstaendigen) Islam und nicht das (moderne, aber aussterbende) Christentum und nicht die (gottlose) Moderne, sondern eine grosse Vielfalt von Meinungen, Schulen, Stroemungen und sozio-kulturellen Milieus. Das gehoert zur Wahrhaftigkeit, ohne die wir ein Gespraech untereinander oder mit Nichtglaeubigen gar nicht erst anzufangen brauchen. Der christlich-islamische Dialog ist in Deutschland weder am Ende noch verlogen. Er darf nicht abgebrochen, sondern muss noch intensiviert werden!

Keine Zukunft ohne Dialog - das heisst zweitens: es gibt keine Zukunft fuer Deutschland an den hier lebenden Christen und Muslimen vorbei! Dass gerade sie unverzichtbar fuer die Gestaltung dieses Landes, seiner Politik und Gesellschaft sind, wird bei saekularen Zeitgenossen umso glaubwuerdiger sein, je friedlicher, toleranter und versoehnter Christen und Muslime miteinander umgehen. Dann koennen wir auch nach aussen eine Kraft des Friedens, der Versoehnung, der Toleranz und der Integration des Fremden, des Anderen in unserer Mitte sein. Ein zukunftsfaehiger Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht gegen die saekulare Gesellschaft gerichtet sein, sondern muss sich ihr verpflichtet wissen. Dazu gehoert unser Zeugnis fuer Spiritualitaet und fuer die Etablierung gemeinsamer Werte und Normen in Europa, das aus unser beider Erfahrung kommt, Frieden mit Gott gefunden zu haben.

In diese Richtung haben sich zuletzt im September 2001 in Sarajevo die Konferenz Europaeischer Kirchen, der Rat der Europaeischen Bischofskonferenzen sowie das Komitee Islam in Europa ausgesprochen. Ich fuege hinzu: wenn der Dialog nach innen mit den Fundamentalisten in unseren eigenen Reihen funktioniert, dann koennen wir Christen und Muslime auch glaubwuerdig nach aussen Stellung beziehen: etwa in Gestalt eines entschlossenen Widerstands gegen den oekonomischen Fundamentalismus, der sich "Globalisierung" nennt und dabei ist, weltweit eine quasi religioese Herrschaft des Totalen Marktes herbeizufuehren, die nur dem Fortschritt, dem Mammon huldigt. Carl Amery hat hierzu vor kurzem Instruktives geschrieben (Global Exit, Maerz 2002). Nur hat er leider vergessen, dass die Kirchen in Gestalt der Muslime wichtige Bundesgenossen haben koennten...

3. Dialoghindernisse und Moeglichkeiten zur Foerderung des Dialogs

Der christlich-islamische Dialog in Deutschland muss mit zahlreichen Problemen und Hindernissen ringen, um sich weiter entwickeln zu koennen. Im Folgenden skizziere ich exemplarisch einige Schwierigkeiten und fuege jeweils hinzu, welche Aufgaben und Foerderungsmoeglichkeiten sich aus meiner Sicht daraus ergeben.

Ein erstes Problemfeld ist das erhebliche Gefaelle hinsichtlich Bildung, Sprachfaehigkeit und Organisationsgrad. Da ist die christliche Seite in jeder Hinsicht gewaltig im Vorteil, waehrend muslimische Gespraechspartner noch immer vielfach aus ganz einfachen Verhaeltnissen kommen, nur unzureichend deutsch sprechen und ohnehin kaum organisierte Dialogstrukturen in ihren Gemeinden, Vereinen und Verbaenden haben. Dieses Gefaelle wird noch durch zwei weitere Gefaelle verstaerkt: das religioes-theologische Fachwissen ist auf der christlichen Seite weitaus staerker repraesentiert allein schon durch den verhaeltnismaessig hohen Anteil beteiligter Gemeindepfarrer und Theologen, denen nur wenige islamische Gelehrte sowie Imame, die zudem oft nicht richtig deutsch sprechen koennen, gegenueberstehen.

Hinzu kommt als dritter Faktor ein unuebersehbares Machtgefaelle zugunsten der kirchlichen Seite, wie es sich ganz zwangslaeufig aus der eindeutigen Mehrheit der Christen hierzulande ergibt. Sie koennen sich den Dialog in jeder Hinsicht viel eher leisten und sich auch etwas kosten lassen. Die anhaltend starken Verluste an Kirchenmitgliedern alljaehrlich verhindern es allerdings, dass sich Christen und Kirchen hier allzusehr in der Position des Starken selber gefallen koennten.

Diese mehrfach ineinandergreifenden Gefaelle machen es in der Praxis oft schwer, sich auf gleicher Augenhoehe zu begegnen. Wichtig ist es darum, Bildungs- und Ausbildungsmoeglichkeiten der Muslime in diesem Lande auf allen Ebenen zu foerdern. Das heisst z.B.

1. Ausbildungsstaetten fuer angehende Imame zu schaffen, wie das etwa in Oesterreich und Holland schon der Fall ist. Seit kurzem gibt es Rabbiner-Kollegs in Potsdam und Heidelberg. So etwas muss hierzulande auch fuer Imame moeglich sein.

2. sollten fuer aus dem Ausland kommende Imame obligatorische Sprach- und Einbuergerungskurse eingefuehrt werden, wie es das seit diesem Jahr etwa in Holland gibt. Wichtiger waere es, kuenftig in Deutschland geborene Imame auszubilden.

3. sollte das Engagement nicht nur der Kommunen, sondern auch der Kirchengemeinden verstaerkt werden, um Deutschkurse vor allem fuer junge muslimische Muetter anzubieten. Kirchengemeinden sollten - mehr noch als bislang - ihre Raeumlichkeiten zur Verfuegung stellen. Ehrenamtliche Christen aus diesen Gemeinden koennten gleichzeitig die Kinderbetreuung uebernehmen. Ein gemeinsames Kaffeetrinken hinterher waere bereits die Keimzelle einer Dialoggruppe.

4. sollten die Kirchen flaechendeckend in allen Dioezesen und Dekanaten bzw. Superintendenturen Kontaktstellen fuer islamspezifische Fragen sowie den Dialog mit Muslimen einrichten sowie in den Fakultaeten das Theologiestudium staerker islamwissenschaftlich ausrichten.

Ein zweites Problemfeld ist das auf beiden Seiten vorhandene erhebliche Mass an Vorurteilen, Feindbildern und Klischees. Christen und Muslime sind hier beide Opfer - oder das Produkt - einseitiger, verzerrender und desinformierender Berichterstattung in den Medien hierzulande wie auch in der sog. islamischen Welt. Hinzu kommt die blanke Ahnungslosigkeit bei Christen ueber den Koran und bei Muslimen ueber das Neue Testament.

Verstaerkt wird dieses Gemisch aus Vorurteilen und Unwissen noch durch diffuse Aengste vor der Andersheit und Fremdheit des jeweils anderen. Zusaetzlich besteht auf islamischer Seite ein Misstrauen. Viele Muslime fuerchten, der von der christlichen Seite angebotene Dialog koennte nur ein verkapptes Mittel der Missionierung oder der Selbstdarstellung der Kirchen in der Oeffentlichkeit sein. Das oft auf das theologische Gespraech fokussierte Interesse der Christen am Dialog deckt sich nicht unbedingt mit dem Anliegen vieler Muslime, praktische Loesungen fuer ihre Alltagsprobleme zu finden, vom Moscheebau ueber das Schaechten bis hin zur Seelsorge in Gefaengnissen und Krankenhaeusern.

Eine langfristige Aufgabe ist, ein Netz von organisierten christlich-islamischen Gesellschaften in Deutschland aufzubauen, mit einem Koodinierungsrat an der Spitze, analog zu den mittlerweile 80 Gesellschaften fuer christlich-juedische Zusammenarbeit. Mancherorts kann eine christlich-islamische Gesellschaft vielleicht direkt mit einer Gesellschaft fuer christlich-juedische Zusammenarbeit eine trilaterale "Abrahamische Arbeitsgemeinschaft" bilden. Die Dialogarbeit an der Basis durch die christlich-islamischen Gesellschaften muesste ergaenzt werden durch Dialog-Akademien, die sich auf die christlich-islamische Begegnung spezialisieren. Mit der Gruendung der Georges-Anawati-Stiftung Ende des Jahres 2000 ist ein verheissungsvoller Anfang bereits erfolgt, dem hoffentlich weitere Dialog-Akademien folgen werden. Auch sollten die beiden grossen Kirchen hier endlich an einem Strang ziehen. Ihre Handreichungen von 1993 ("Christen und Muslime in Deutschland") und 2000 ("Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland") haben viel dazu beigetragen, Vorurteile abzubauen und den Dialog zu ermutigen. Noch effizienter waere dieses Bemuehen, wenn beide Kirchen kuenftig eine gemeinsame Handreichung zum Verhaeltnis der Christen und Muslime in Deutschland erarbeiten wuerden...

Die Hauptaufgabe bei diesem zweiten Problemfeld sehe ich jedoch in der Erziehung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben wir leider an Schulen noch keinen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache. Dieser muss bundesweit eingefuehrt werden. Dazu brauchen wir schnellstmoeglich Ausbildungsstaetten fuer kuenftige Lehrkraefte in diesem Fach, seien sie nun Muslime oder nicht. Auch da sind unsere Nachbarlaender weiter.

Weder die bestehenden schulischen Unterrichtsfaecher noch die Koranschulen sind ein Ersatz fuer den islamischen Religionsunterricht - im Gegenteil. Ein aktuelles Forschungsprojekt der Universitaet Jena hat die deutschsprachigen Materialien untersucht, die in den muslimischen Gemeinden bei der Erziehung der Kinder und Jugendlichen verwendet werden. Diese Buecher, Magazine, Kassetten usw. strotzen nur so von Klischees und Stereotypen und sind wenig toleranz- und integrationsfoerdernd. Hier besteht noch sehr viel Verbesserungsbedarf - wie auch auf der anderen Seite. Das Islambild der hierzulande zugelassenen Schulbuecher wurde schon vor 20 Jahren von Udo Tworuschka und Abdoldjavad Falaturi einer kritischen Analyse unterzogen. Inzwischen ist es verbessert worden, aber noch immer nicht ausgewogen und sachlich genug, wie eine Fernsehsendung im vergangenen Oktober feststellte (Monitor, ARD, vom 18.10. 2001).

Doch wir brauchen mehr als islamischen Religionsunterricht und verbesserte Unterrichtsmaterialien. Wir brauchen eine gemeinsame Erziehung muslimischer und christlicher Kinder. Dafuer sind christlich-islamische Schulen noetig, wie es sie etwa in Holland (Juliana-van-Stolberg-Schule, Ede) und im Westjordanland (Talitha Kumi, Beit Jala) gibt. Das waren urspruenglich konfessionell-christliche Schulen, die im Laufe ihrer Geschichte eine Oeffnung hin zum Islam durchlaufen haben und ihre evangelische Identitaet zugunsten eines bewusst interkulturellen und interreligioesen Profils erweitert haben. Solche Schulen, die sich ein dialogisches, christlich-islamisches Erziehungskonzept geben, waeren auch in Deutschland zukunftsweisend. Sie bereiten von Kindesbeinen an den Weg fuer Kennen- und Verstehenlernen, fuer Toleranz und Integration.

Solange das noch nicht moeglich ist oder gewollt wird, gibt es seit kurzem eine andere Option. Die Groeben-Stiftung ist gemeinsam mit dem Interkulturellen Rat in Deutschland e.V. derzeit dabei, bundesweit sog. "Abrahamische Teams" aufzubauen, bestehend aus je einem Vertreter von Judentum, Christentum und Islam. Diese Teams gehen auf Anfrage auch direkt in die Schulen: nicht nur um Fragen an die jeweiligen Religionen zu beantworten, sondern um die Kultur des Dialogs beispielhaft vorzuzeigen und gleichsam Samen friedlicher Verstaendigung in den Klassen auszustreuen und die Lehrer und Schueler zu eigenen dialogischen Aktivitaeten anzuregen. Mitglieder aus unserer Christlich-Islamischen Gesellschaft koennten sich an diesen Teams beteiligen.

Keine Zukunft ohne Dialog - das heisst also drittens: der christlich-islamische Dialog hat keine Zukunft in Deutschland, wenn nicht reale Hindernisse und Hemmnisse in den kommenden Jahren ausgeraeumt werden. Es genuegt nicht, allein den rechtlichen Freiraum fuer einen offenen Dialog bereitzustellen, wie das unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gluecklicherweise tut. Es muss zudem ein Naehrboden fuer den Dialog geschaffen werden. Nur eine von Kindesbeinen an eingeuebte interreligioese Lernkultur wird aus den heranwachsenden Jugendlichen im Erwachsenenalter interessierte und kompetente Traeger eines christlich-islamischen Dialogs machen. Dazu ist langfristig ein Netzwerk christlich-islamischer Schulen, Gesellschaften und Akademien notwendig. Der Aufbau dieses Netzwerkes muesste auch im Interesse der Gesamtgesellschaft sein. Denn der Integrationseffekt, die Fundamentalismusprophylaxe sowie der vertrauensbildende Charakter kontinuierlicher Zusammenarbeit von Christen und Muslimen steht ausser Zweifel. Wo es gewuenscht wird und moeglich ist, sollten Juden mit einbezogen werden, von abrahamischen Foren und Teams bis hin zur Gruendung von Abrahamshaeusern.

4. Schluss

Bekanntlich wird in unseren Heiligen Schriften Abraham "Freund Gottes" genannt (Jesaja 41,8; Jakobus 2,23; Sure 4,125). Daher muss jeder Dialog ein Beitrag zur Entfeindung von Christen und Muslimen sein. Wenn schon unser beider Leitfigur Freund Gottes heisst, sollten wir Christen und Muslime uns bemuehen, fuer- und untereinander Freunde zu werden. Der christlich-islamische Dialog ist nicht allein "eine Erfuellung des Gebotes der Naechstenliebe", wie es in einem Faltblatt des Arbeitskreises Christen und Muslime der Ev. Kirche im Rheinland vom November 2001 heisst. Vielmehr gilt fuer mich persoenlich und wohl fuer uns alle in der CIG: unser Dialog ist ein Gebot der Freundschaft und echter Geschwisterliebe.

Es gibt ein chinesisches Sprichwort: "Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmuehlen." Mauern bauen - das ist Fundamentalismus, Windmuehlen bauen - das ist Dialog. Das ist, was unsere Gesellschaft mit Gottes Hilfe bisher getan hat und weiter tun wird, so Gott will. Die beiden Konzepte sind Ausdruck fuer konkurrierende Zivilisationsstile. Die Haltungen, die ihnen zugrundeliegen - der Geist der Offenheit und Akzeptanz auf der einen Seite, das ideologische Freund-Feind-Denken auf der anderen Seite -, sind harte Gegensaetze. Die Zukunft der Beziehung zwischen Christen und Muslimen, ja die Zukunft der Voelkerfamilie insgesamt haengt davon ab, ob sich bei der grossen Masse der Glaeubigen die Befuerworter des Dialogs oder die Extremisten durchsetzen werden.

Keine Zukunft ohne Dialog - das heisst viertens fuer unsere Christlich-Islamische Gesellschaft, Windmuehle der Verstaendigung und Aussoehnung zwischen Christen und Muslimen zu sein und zu bleiben allen Widrigkeiten zum Trotz. Je mehr christlich-islamische Gruppen es in Deutschland gibt, desto mehr Windmuehlen werden fuer frischen Wind in dieser Gesellschaft sorgen und desto weniger Mauern werden gebaut oder aufrechterhalten bleiben. Moege die Gottes- und Geschwisterliebe, die uns Christen und Muslime zum "bestmoeglichen Streit" (Sure 29,46) animiert, sich als staerker erweisen als alle extremistischen Parolen und Agitationen!



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1423 / 2002