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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


7. Maerz 2001, Neue Zuercher Zeitung

Israel und die Frage des Rueckkehrrechts fuer Fluechtlinge

Koennen auch aus arabischen Staaten vertriebene Juden zurueckkehren?


In der Schlussphase der Regierung Barak ist in Israel heftig ueber das Rueckkehrrecht der Palaestinenser diskutiert worden. Neben dem kuenftigen Status von Jerusalem konnte ueber diesen Punkt bei den palaestinensisch-israelischen Verhandlungen keine Einigung erzielt werden. Die palaestinensische Seite stuetzt ihren Anspruch unter anderem auf die Uno-Resolution 194. Doch diese Entschliessung bezieht sich, so wird von israelischer Seite argumentiert, nicht exklusiv auf palaestinensische Fluechtlinge. Ob der neu gewaehlte Ministerpraesident Sharon bereit ist, weiter ueber dieses Thema zu verhandeln, ist vorlaeufig unklar.

Von Naomi Bubis *

Waehrend Palaestinenserfuehrer Arafat strikt darauf besteht, die Rueckkehr seiner 1948 aus dem damals neu entstandenen Staat Israel gefluechteten und vertriebenen Landsleute und ihrer Nachkommen vertraglich zu verankern, erkennen die Israeli das Recht auf Rueckkehr nicht an. Der Osloer Prozess war darauf angelegt, die Loesung der kontroversen Jerusalem- und Fluechtlingsfrage aufzuschieben, um der emotionsbeladenen Thematik an Gewicht zu nehmen. Die gegenwaertige Kontroverse hat die alte Palaestinafrage von 1948, die Wurzel des israelisch-palaestinensischen Konflikts, offengelegt.

Wer zaehlt heute zu den Fluechtlingen?

Ueber fuenfzig Jahre sind seit Ende des israelischen Unabhaengigkeitskrieges vergangen. Damals wurden laut Schaetzung der Vereinten Nationen 750 000 Palaestinenser zu Fluechtlingen. Der Grossteil lebt seither in ueberfuellten Fluechtlingslagern im Gazastreifen, in Cisjordanien, in Libanon, Syrien und Jordanien. Heute traeumt bereits die dritte Generation von einem Leben in den Haeusern der Grossvaeter. Manche besitzen alte Schluessel fuer ein nicht mehr existentes Haus, andere haben Landbesitz-Urkunden. In der israelischen Oeffentlichkeit wurde das Fluechtlingsproblem jahrelang tabuisiert. Erst seit den Veroeffentlichungen juengerer Historiker wie Benny Morris oder Tom Segev und den letzten Verhandlungen von Camp David wird ein offener Diskurs ueber einst verdraengte Fragen gefuehrt: Wurden die Palaestinenser vertrieben, oder sind sie freiwillig geflohen? Wer zaehlt zu den Fluechtlingen? Jene, die 1948 das Land verliessen, oder auch deren Nachkommen? Wer bestimmt, ob und wie viele Fluechtlinge nach Israel zurueckkommen duerfen? Wer uebernimmt Verantwortung fuer ihr Schicksal? Ist eine Entschuldigung noetig? Wie soll Recht abgegolten werden? Sollen die Fluechtlinge entschaedigt werden?

Breiter Konsens in Israel

In Israel herrscht ein breiter gesellschaftlicher Konsens: Fuer die Mehrzahl gleicht eine Erfuellung des palaestinensischen Rueckkehrrechts einem nationalen Selbstmord. Die israelische Psyche ist von Aengsten durchsetzt: Existenzaengste, Furcht vor Verlusten und Bedrohungsgefuehle. Die gegenwaertige Diskussion legt tiefe historische Schichten frei: Wunden juedischer Verfolgung, das Trauma der Shoah, die Folgen der Massenvernichtung. Israeli haben Angst, zur Minderheit im eigenen Staat zu werden, sogar saekulare Juden fuerchten um den juedischen Charakter des Staates, ihn beizubehalten gilt als Existenzfrage.

Hierzulande ist man sich einig: Der Ausloeser des palaestinensischen Fluechtlingsproblems war die Weigerung der Araber, den Uno-Teilungsplan von 1947 anzunehmen. Damals sollten auf dem umstrittenen Territorium des britischen Mandat- Palaestina zwei souveraene Staaten gegruendet werden - ein juedischer und ein palaestinensischer. Die Folgen sind bekannt: Die Araber widersetzten sich der Teilung, und am Ende des Krieges hatten 750 000 Palaestinenser ihre Wohnorte verlassen - sei es aus Angst oder dem Ruf arabischer Fuehrer folgend. Diese versprachen den Familien, sie wuerden zurueckkehren, sobald Israel zerstoert sei. Doch dazu kam es nicht. Die juedische Armee eroberte Haifa, Tiberias, Akko, Safed und Jaffa, besetzte Territorium, das gemaess dem Uno-Teilungsplan dem arabischen Palaestina zugesprochen war. 1948 hatte Israel 77 Prozent des ehemaligen Mandatsgebietes erobert. 156 000 Araber verblieben im Land. Israels neue Staatsgrenzen wurden in Waffenstillstandsabkommen festgesetzt und von der internationalen Gemeinschaft anerkannt. Wenig spaeter annektierte Jordanien Cisjordanien, Aegypten eroberte den Gazastreifen. Die Palaestinafluechtlinge wurden in den arabischen Nachbarstaaten in ueberfuellten Lagern untergebracht, in denen sie zum Grossteil immer noch leben. Mit Ausnahme Jordaniens, das den Fluechtlingen die Staatsbuergerschaft gewaehrte, und teilweise Syriens wurden die Neuankoemmlinge nicht in die jeweiligen Gesellschaften integriert. Die 48er Fluechtlinge sind eine landlos gewordene Bauernbevoelkerung, die ausserhalb ihrer gewohnten Strukturen ein neues Leben aufbauen musste. Dabei half ihnen das 1950 gegruendete Hilfswerk der Vereinten Nationen fuer Palaestinafluechtlinge (UNRWA), das 59 Fluechtlingslager in Jordanien, Libanon, Syrien und den Palaestinensergebieten betreut, sich um Erziehung und Gesundheitsversorgung kuemmert.

Legendaere Uno-Resolution

Von den mittlerweile 3,6 Millionen Fluechtlingen leben auch heute noch ein Drittel in Lagern. Nicht ohne Grund. Die arabischen Staaten liessen das Fluechtlingsproblem bestehen - unter andern Gruenden deshalb, um es in ihrem Kampf gegen Israel einzusetzen, es politisch zu instrumentalisieren. Libanon und Jordanien fuerchten einen Kompromiss in der Fluechtlingsfrage, sie haben Angst vor gewalttaetigen Ausschreitungen enttaeuschter Palaestinenser im eigenen Land. Libanon verkuendete, es werde nicht zulassen, dass die Fluechtlingsfrage «auf Kosten des libanesischen Volkes» ausgetragen wird, und auch Jordanien ist nicht gewillt, weitere Palaestinenser aufzunehmen. Bereits 1949 lehnten arabische Delegationen den Vorschlag des israelischen Ministerpraesidenten David Ben Gurion ab, der sich bereit erklaerte, 100 000 Palaestinenser in Israel aufzunehmen. Einzige Bedingung: Israel muesse entscheiden, wo die Flchtlinge angesiedelt werden. Die arabischen Vertreter lehnten ab, wollten die Anzahl der Rueckkehrer nicht limitieren.

Die legendaere Uno-Resolution 194 sucht primaer nach einer diplomatischen Loesung fuer den israelisch-arabischen Konflikt. Erst in Absatz 11 wird «das Recht der Flchtlinge, an ihre Wohnorte zurueckzukehren», erwaehnt, wobei generell von Fluechtlingen und nicht speziell von palaestinensischen die Rede ist. Jene, die auf eine Rueckkehr verzichten, sollen entschaedigt werden.

Kein bindender Beschluss?

Die Resolution 194, die von den Palaestinensern als Grundlage ihrer Ansprueche adoptiert wurde, kann prinzipiell auch auf jene Hunderttausende von Juden angewendet werden, die im Verlauf des Unabhaengigkeitskrieges aus arabischen Laendern vertrieben wurden. 1945 lebten ueber 850 000 Juden in der arabischen Welt, viele Gemeinden hatten eine 2500 Jahre alte Geschichte. Bereits vor der Gruendung des Staates Israel kam es zu massiven antijuedischen Ausschreitungen im Irak, in Syrien, Aegypten und Nordafrika. Dabei wurden Hunderte von Juden getoetet, ihre Haeuser zerstoert. Die antijuedischen Ausschreitungen erreichten 1948/49 ihren Hoehepunkt, im Irak galt der Zionismus fortan als Kapitalverbrechen. Der vehemente arabische Nationalismus und Antisemitismus fuehrte schliesslich zu einer juedischen Massenauswanderung, vor allem nach Israel. In den einst grossen Gemeinden Algeriens, des Iraks und Aegyptens leben heute nur noch ein paar hundert alte Leute.

In dem Uno-Entschluss, der eine Loesung in der Kombination aus Rueckkehr, Rehabilitation und Kompensation sieht, wird die Rueckkehr an Vorbedingungen geknuepft, «die Fluechtlinge muessen an einem friedlichen Zusammenleben mit ihren Nachbarn interessiert sein». Israel hat die Resolution 194 nie anerkannt, denn im Gegensatz zu Entschluessen des Uno-Sicherheitsrates gelten Resolutionen der Uno-Vollversammlung nur als Empfehlungen und sind nicht bindend. Aus israelischer Sicht enthaelt der Text ein gravierendes Manko: Es bleibt den Fluechtlingen selbst ueberlassen, ob sie eine Rueckkehr in Erwaegung ziehen, die Verantwortung wird nicht an eine uebergeordnete Instanz abgetreten.

Die israelische Position hat sich seit Ausbruch der Aksa-Intifada verhaertet. Selbst der sonst moderate Justizminister Yossi Beilin argumentiert gegen die Annahme des Rueckkehrrechts, schliesslich werde Israel in der Resolution nicht einmal woertlich erwaehnt. Beilin hat 1995 mit Arafats Stellvertreter Abu Mazen ein Dokument erarbeitet, das als Grundlage der gegenwaertigen Gespraeche gilt. Die beiden schlagen in dem Papier eine internationale Verantwortung fuer das Fluechtlingsproblem vor, wonach die Mehrzahl im unabhaengigen Palaestina aufgenommen werden soll. Auch fuer den Vorsitzenden der progressiven Meretz-Partei, Yossi Sarid, ist das Rueckkehrrecht eine «rote Linie», die nicht ueberschritten werden darf, sonst wuerde Israel Selbstmord begehen. Dieser Meinung sind auch liberale Intellektuelle wie Amos Oz, David Grossman und A. B. Jeshohua.

Revisionen am israelischen Geschichtsbild

Oz meint, das Recht auf Rueckkehr sei nichts anderes als ein «arabischer Euphemismus fuer die Liquidation Israels». Durch die Rueckkehr der im Exil lebenden Palaestinenser wuerde die demographische Balance aufgehoben und Israel letztlich zu einem weiteren muslimischen Land. Und David Grossman fragt, wohin die eine Million Juden gehen sollen, die heute an den Orten leben, aus denen einst die Palaestinenser vertrieben wurden. Auch Ron Pundak, Historiker und Unterhaendler des Oslo-Abkommens, spricht sich nur fuer die symbolische Aufnahme einer kleinen Anzahl von Palaestinensern aus. Es muesse vielmehr ein internationales Rahmenprogramm geschaffen werden, um Fluechtlinge auf der Basis ihres verlorenen Besitzes zu entschaedigen.

Einen radikaleren Ansatz vertreten israelische «neue Historiker», wie Ilan Pappe, Tom Segev und Benny Morris. Ihre neue Interpretation historischer Ablaeufe hat die traditionelle zionistische Geschichtsschreibung revidiert, die umstrittenen Erkenntnisse sind mittlerweile in der Forschung anerkannt. Die Historiker ruetteln an den Fundamenten der Staatsgruendung, stellen diese nichteinseitig als heroischen zionistischen Befreiungsakt dar, entkleiden Fakten von ihren Mythen.

Ilan Pappe meint gar, es habe 1948 einen ungeschriebenen zionistischen Plan gegeben, alle Araber aus Palaestina zu vertreiben. Pappes kontroverse These wurde von seinen palaestinensischen Kollegen dankbar aufgenommen, seit je versuchen diese die Existenz eines solchen «Masterplans» zu belegen.

Benny Morris meint hingegen, es habe nie einen Vertreibungsplan gegeben. Die Ergebnisse seiner Recherche legt Morris in seinem Buch ueber die Entstehung des palaestinensischen Fluechtlingsproblems dar, nachdem er jahrelang israelische und britische Archive durchforstet hat, die erst in den achtziger Jahren geoeffnet wurden.

Die allzu kritische Beleuchtung der israelisch-palaestinensischen Vergangenheit trotzt manchmal auch den Realitaeten, wie die Magisterarbeit des Israeli Tedi Katz zeigt. In seiner Schrift versucht Katz ein 1948 veruebtes «Massaker» an der arabischen Bevoelkerung von Tantura zu belegen, einem Dorf in der Naehe von Haifa. Katz muss sich nun in einem Verleumdungsverfahren vor Gericht verantworten, er soll zur Untermauerung seiner These Behauptungen und Zeugenaussagen gefaelscht haben.

Keine Kompromisse?

Die palaestinensische oeffentliche Meinung trotzt all den israelischen Interpretationen. Sie will keine diplomatischen Konzessionen, besteht darauf, Israel moege Verantwortung fuer das Schicksal der 3,6 Millionen Fluechtlinge uebernehmen - die 48er und 67er Fluechtlinge, sowie deren Nachkommen. In naher Zukunft wird dies jedoch nicht geschehen, zumal die Knesset Anfang Januar in dritter, entscheidender Lesung einen Gesetzesentwurf des rechten Likud-Blocks angenommen hat, der fuer die Annahme des Rueckkehrrechts die absolute Mehrheit im Parlament vorsieht. Eine Kompromissloesung kann nur erreicht werden, wenn beide Seiten von ihren maximalistischen Ansaetzen abruecken. Israel muss symbolisch Verantwortung uebernehmen, die Zusammenfuehrung von Familien zulassen, Restitutionen und finanzielle Entschaedigung bewilligen. Arafat muss den Mut haben, seinem Volk zu erklaeren, dass es in einer Illusion lebt. Fuer die meisten wird es, davon ist die grosse Mehrheit der Israeli ueberzeugt, keine Rueckkehr nach Jaffa, Haifa, Akko oder Ramla geben.

* Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Tel Aviv.



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1422 / 2001