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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


Die Muehen des Dialogs

Vortrag von Mohammad Aman Hobohm (01.04.2003)


Als ich vor etwa 25 Jahren - ich befand mich damals noch im Ausland - vom damaligen Leiter des "Islam-Archivs Deutschland" und Vertreter des "Islamischen Weltkongresses" fuer die Bundesrepublik Deutschland, Muhammad Salim Abdullah, gebeten wurde, fuer eine von ihm geplante Veroeffentlichung ueber den Islam in Deutschland meine Gedanken ueber den Dialog mit den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland zu Papier zu bringen, da schrieb ich ihm unter anderem folgendes:

"Als Muslim begruesse und bejahe ich die von den grossen christlichen Kirchen eingeleiteten Schritte, die ueber die Begegnung und den Dialog zwischen Christen und Muslimen zur Verstaendigung und Zusammenarbeit der Menschen, die sich zu diesen beiden Weltreligionen bekennen, fuehren sollen. Damit, so hoffe ich, hat ein neuer Abschnitt in der Geschichte der gegenseitigen Beziehungen begonnen

Im Abbau der Konfrontation und in der Hinwendung zum Dialog sehe ich ein Anzeichen dafuer, dass sich die christlichen Kirchen anschicken, ihren Absolutheitsanspruch und ihr Missionsverstaendnis neu zu ueberdenken. In diesem Zusammenhang sind Erklaerungen, wie sie in juengster Vergangenheit von befugten Vertretern der katholischen Kirche abgegeben worden sind und das Islamdokument des Zweiten Vatikanischen Konzils besonders hilfreich."

Ich warnte gleichzeitig vor zu hohen oder falschen Erwartungen. Gespraeche ueber die Glaubensgrundlagen sollten daher nur der gegenseitigen Information dienen. Jeder auch noch so insgeheim gehegte Wunsch, den anderen zur eigenen Ansicht zu bekehren, waere fuer das zarte Pflaenzchen Dialog verderblich. Es gibt fuer beide Seiten unaufgebbare Positionen. Jeder Missionsversuch unter dem Deckmantel des Dialogs koennte, ja muesste, das Scheitern der Begegnung nach sich ziehen. Kaum verheilte Wunden wuerden wieder aufbrechen. Anstatt zu einer Kooperation zu kommen, wuerden wir wieder in eine gefaehrliche Konfrontation geraten.

"Fuer naiv halte ich den Versuch gutmeinender, aber nicht unbedingt wirklichkeitsnaher kleiner Minderheiten auf beiden Seiten, einen Synkretismus anzustreben, der von der Mehrheit doch nicht akzeptiert wuerde. Was dabei herauskaeme, waere eine neue Sekte, und damit waere niemandem gedient.

Es kommt beim Dialog darauf an, dass sich Christen und Muslime besser kennenlernen. Die Vorurteile, die seit Jahrhunderten das Bild des Islam im christlichen Verstaendnis - und umgekehrt - gepraegt haben, muessen beseitigt und das tiefe Misstrauen abgebaut werden, das die eine Seite gegen die andere hegt.

Dies - und davon bin ich fest ueberzeugt, ist jedoch nur moeglich, wenn sich Christ und Muslim mit echter gegenseitiger Achtung begegnet und der eine den anderen anerkennt und gelten laesst und der Dialog ausschliesslich zu dem Zweck gefuehrt wird, Verstaendnis zu wecken, wo bisher Unkenntnis und Missverstaendnis herrschten, Eintracht und Verstaendigung zu saehen, wo unterschwellige und auch offene Feindschaft und Feindseligkeit die Beziehungen zueinander bestimmten - und schliesslich und endlich, um jene Grundlage des Vertrauens zu schaffen, auf der allein eine breitgefaecherte Zusammenarbeit zum Wohl beider Gemeinschaften aufgebaut werden kann."

Soweit meine damaligen Aeusserungen zum Dialog. Sie liegen, und das sei noch einmal gesagt, fast 30 Jahre zurueck.

Ich habe dem, was ich damals sagte, kaum etwas hinzuzufuegen, es sei denn der Hinweis, dass Bruder Saum Abdullah diese Gedanken in seinem 1981 erschienenen Buch "Geschichte des Islams in Deutschland" veroeffentlicht hat.

Inzwischen haben Hunderte von Dialog-Veranstaltungen mit allen moeglichen Partnern stattgefunden und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europaeischen Laendern.

Ich habe selbst an zahlreichen Treffen teilgenommen. Man trifft im wesentlichen immer die gleichen Personen. Man kann schon fast von professionellen Dialog-Teilnehmern sprechen.

Aber was haben diese Veranstaltungen bewirkt?

Ist das Verstaendnis untereinander groesser geworden?

Haben sich die Beziehungen zueinander verbessert?

Hat der Dialog die Integration gefoerdert?

Ist das gegenseitige Misstrauen abgebaut worden?

Ich bedauere, diese Fragen aus meiner Sicht negativ beantworten zu muessen.

Vor allem seit dem 11.9.01 ist die Situation fuer uns Muslime in diesem Land eher schlechter geworden. Die Verteufelung des Islam und seiner Anhaenger hat zugenommen. Selbst fuehrende Politiker haben sich nicht gescheut, den Islam negativ darzustellen und zu beurteilen. So ist der muslimische Glaube sogar als eine Irrlehre bezeichnet worden.

In den Medien haben abfaellige Berichte ueber den Islam und seine Anhaenger zugenommen.

Den Vertretern des Islam in Deutschland wird Unglaubwuerdigkeit und Doppelzuengigkeit unterstellt. Auch werden einige von ihnen grundlos verdaechtigt, Kontakte zu extremistischen islamischen Gruppen im Ausland zu unterhalten. Selbst Praeses Kock hat oeffentlich Zweifel an der Glaubwuerdigkeit von Amtstraegern der muslimischen Spitzenorganisationen durchblicken lassen.

Die Muslime fuehlen sich verunsichert - das Verhaeltnis zur nichtmuslimischen Umwelt ist entschieden getruebt und belastet, und das alles trotz jahrzehntelanger Dialog-Bemuehungen!

DIESE SITUATION SOLLTE ABER NICHT ZUR AUFGABE SONDERN ZUR VERSTAERKUNG DIESER BEMUEHUNGEN FUEHREN!

Vor allem sollten die Meinungsbildner in diesem Land, die Vertreter der Politik und der Medien staerker in diese Bemuehungen eingebunden werden, und ganz besonders aber auch die Basis, die einzelnen Gemeinden.

Sheikh Bashir Ahmed Dultz, der sich um den Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden besonders verdient gemacht hat, hat einmal gesagt: DER DIALOG SOLL NICHT DIE RELIGIONEN VERAENDERN, SONDERN DIE MENSCHEN.

Haben wir die Menschen durch die bisherigen Dialog-Bemuehungen wirklich veraendert?

WAS ERWARTEN WIR MUSLIME:

Wir erwarten vor allem Ehrlichkeit, Unvoreingenommenheit und die Bereitschaft, sich den Islam von den Muslimen selbst und nicht von Andersglaeubigen erklaeren zu lassen, und ihnen, den Muslimen, dann auch zu glauben. Gegenseitiges Vertrauen ist Voraussetzung fuer den Erfolg aller gegenseitigen Bemuehungen um Verstaendnis.

Es geht aus unserer Sicht nicht an, dass jeder meint, er koenne den Qur 'an interpretieren - und ich meine da in erster Linie Nichtmuslime!

Die Interpretation des Qur'an ist eine Wissenschaft, die ein intensives Studium voraussetzt, und deshalb sollte man sie denen ueberlassen, die sich den Muehen eines solchen Studiums unterzogen haben.

VOR ALLEM ABER ERWARTEN WIR, DASS DER DIALOG HINUNTERGETRAGEN WIRD AN DIE BASIS. Dass Kontakte zwischen Moscheen und Kirchen hergestellt werden, und vertieft werden, wo sie bereits existieren.

Auch moechten wir, dass die Muslime eingebunden werden in die Arbeit der Wohlfahrtsverbaende. Wir sind uns bewusst, dass wir zu diesem Zweck eine eigene Institution schaffen muessen, die dann Mitglied des paritaetischen Wohlfahrtsverbands werden sollte. Hier brauchen wir Rat und Hilfe. ---

Ich moechte die Gelegenheit, heute zu Ihnen ueber den Dialog sprechen zu duerfen, nicht voruebergehen lassen, ohne nicht auf eine Organisation aufmerksam zu machen, die schon unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum Zweck der interkonfessionellen Zusammenarbeit gegruendet wurde:

DIE ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KIRCHEN UND RELIGIONSGESELLSCHAFTEN IN GROSS-BERLIN:

In der damaligen Vier-Sektoren-Stadt Berlin bahnte sich schon bald nach dem Krieg ein Zusammenschluss aller religioesen Kreise an. Er konstituierte sich am 14. April 1947 in der "Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften in Gross-Berlin (AKR)".

Auf Initiative von Probst Heinrich Grueber, der als Mitglied der "Bekennenden Kirche" waehrend der Nazi-Zeit mehrere Jahre im KZ war, und der unermuedlich die erforderlichen Vorarbeiten leistete, wurde eine Satzung beschlossen und von folgenden Persoenlichkeiten unterzeichnet:

Bischof Dibelius fuer die Evangelische Kirche
Pfarrer Tomberge fuer die Roemisch-Katholische Kirche
Siegmund Weltlinger fuer die Juedische Religionsgemeinschaft
Superintendent Pieper fuer die Evang.-Freikirchliche Gruppe
Superintendent Grube fuer die Evang.-Lutherischen Freikirchen
Pfarrer Buchta fuer die Alt-Katholische Kirche und
Pfarrer Vermehren fuer die Christengemeinschaft.

Der Nationalsozialismus hatte zahlreiche Religionsgemeinschatten verfolgt oder verboten. Erst nach seiner Zerschlagung konnte ein neuer Anfang gemacht werden. Wichtige Impulse gingen hierbei von jenen fuehrenden Persoenlichleiten des religioesen Lebens aus, die aus Gefaengnissen oder Konzentrationslagern zurueckkehrten. Angesichts der Bedrohung, die sie existentiell erfahren und erlitten hatten, waren sie innerlich aufgeschlossen und bereit, fuer die Werte und die Freiheit religioesen Wirkens gemeinsam einzutreten, wie es in der Praeambel zur Satzung heisst. Dreissig Glaubensgemeinschaften nahmen damals diese Einigungsformel an, unter ihnen auch die Muslime, die Buddhisten und die Anhaenger der Mazdaznan-Bewegung.

"Wer das Spannungsfeld des religioesen Lebens kennt", so schrieb der Archivar der Evangelischen Kirche in Deutschland, Dr. Hermann Delfs, 1977 in seinem Vorwort zu einer Neuauflage der in den fuenfziger Jahren von der Arbeitsgemeinschaft herausgegebenen Veroeffentlichung ‚Was glauben die Andern', "versteht das Mass an Einsicht, das hierin zum Durchbruch gekommen war." DIE AKR HABE EIN PRAKTISCHES BEISPIEL GEGEBEN FUER PARTNERSCHAFT UND GLEICHBERECHTIGUNG VON KIRCHEN UND RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN.

Geschaeftsfuehrer wurde KURT EBERHARD, ein Quaeker, Schwager des noch 1945 im KZ Flossenburg hingerichteten Pastors Dietrich Bonhoeffer.

Kurt Eberhard hat sich durch sein unermuedliches Eintreten fuer die Belange a  l  l  e  r Religionsgemeinschaften in Berlin grosse Verdienste erworben.

Hauptziel der Arbeitsgemeinschaft war, wie bereits erwaehnt, das gemeinsame Eintreten fuer die Werte und Freiheit des religioesen Wirkens, WOBEI VORAUSGESETZT WURDE, DASS DIE MITGLIEDER, d.h. die angeschlossenen Kirchen und Religionsgemeinschaften, SICH GEGENSEITIG ACHTEN.

Bei dem Aufbau der Organisation galt es, den Gefahren zu begegnen, die durch die grosse Verschiedenheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften drohten. Dies wurde dadurch erreicht, dass der Rat (Vorstand), der alle der AKR obliegenden Aufgaben zu erfuellen und die AKIR nach aussen zu vertreten hafte, so zusammengesetzt war, dass auch die grossen Kirchen nur durch je einen Delegierten vertreten waren.

Der Rat (Vorstand) bestand aus 7 Mitgliedern, von denen je ein Mitglied von folgenden Gruppen bestellt wurde:

1. von der Evangelischen Kirche
2. von der Roem.-Katholischen Kirche
3. von der Juedischen Gemeinde und sonstigen nicht-christlichen monotheistischen Religionsgemeinschaften (u.a. den Muslimen)
4. von der evang.-freikirchlichen Gruppe
5. von den lutherischen Freikirchen
6. von den Rom-freien katholischen Kirchen
7. von der Gruppe der uebrigen Religionsgesellschaften und religioesen Organisationen.

Alle sieben Mitglieder waren gleichberechtigt und hatten je Mitglied nur eine Stimme. Beschluesse des Rats sind zustande gekommen, wenn kein Mitglied widerspricht. Es gab also ein Veto-Recht fuer jedes Ratsmitglied. Durch Anerkennung dieser Regelung haften die beiden grossen Kirchen zwar eine Selbstbeschraenkung auf sich genommen, dafuer konnten sie aber eine echte Partnerschaft und ein gutes Einvernehmen mit den kleinen Gruppen finden, das der Zusammenarbeit je laenger je mehr zugute kam.

Ein Ehrengericht konnte angerufen werden, wenn sich ein Mitglied, d.h. eine der AKR angeschlossene Religionsgemeinschaft durch ein anderes Mitglied angegriffen, verletzt, beleidigt oder diffamiert fuehlte. Dies war vor allem dann von Bedeutung, wenn sich eine Religionsgemeinschaft von dem Vertreter einer anderen Religionsgemeinschaft oeffentlich, d.h. in Predigten, Reden und Vortraegen, vor allem aber in den Medien‚ angegriffen fuehlte.

Die Arbeitsgemeinschaft setzte sich bei den Behoerden fuer Belange ihrer Mitglieder ein, auch bei den Militaerbehoerden in der damals vom Alliierten Kontrollrat verwalteten Stadt.

Ferner vermittelte die Arbeitsgemeinschaft Zugang zu den Medien.

Mit dem RIAS (Rundfunk im Amerikanischen Sektor) bestand eine Uebereinkunft mit der Arbeitsgemeinschaft gemaess der jedes Mitglied, d.h. jede Religionsgemeinschaft, turnusmaessig Morgenandachten oder Morgenfeiern im Sender veranstalten konnte. Diese jeweils eine halbe Stunde dauernden Sendungen wurden jeden Sonntag ausgestrahlt. Auch von den Id-Gebeten (Festgottesdienste) wurden durch Vermittlung der Arbeitsgemeinschaft regelmaessig Reportagen gesendet.

Die Arbeitsgemeinschaft hatte es uebernommen, die konfessionskundliche Literatur und Medienberichterstattung zu ueberpruefen und gewissermassen als neutraler Beobachter die Verleger von Buechern und Zeitschriften und die Redakteure von Zeitungen auf Irrtuemer und schiefe Darstellungen aufmerksam zu machen. Dies geschah sowohl im Interesse der betroffenen Religionsgemeinschaft wie auch der Offentlichkeit, die einen Anspruch auf sachgemaesse Information hat. Die meisten der angesprochenen Verlage, Redaktionen und Autoren haben auf diese Hinweise und Berichtigungswuensche positiv reagiert und - im Falle von Buechern und Zeitschriften - sie in spaeteren Auflagen beruecksichtigt. Dies von der Arbeitsgemeinschaft ausgeuebte "Waechteramt" kam besonders den kleinen Gemeinschaften zugute - auch uns Muslimen -‚ die sich oft nicht richtig verstanden oder unsachgemaess interpretiert sahen.

In diesem Zusammenhang moechte ich noch einmal auf eine von der Arbeitsgemeinschaft herausgegebene Veroeffentlichung hinweisen, die ganz wesentlich zum besseren Verstaendnis der einzelnen Mitglieder - vor allem der weniger bekannten - beigetragen hat. Es handelt sich um die Schrift "WAS GLAUBEN DIE ANDERN" ‚ in der in Form von Selbstdarstellungen jede Religionsgemeinschaft sich selbst beschreiben konnte.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in der "Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften von Gross-Berlin" eine Form des Dialogs und der Zusammenarbeit entwickelt wurde, die in kleinen Schritten Partnerschaft und Gleichberechtigung aller Kirchen und Glaubensgemeinschaften in der Stadt erstrebte.

Ich bin froh, dass ich vor einem halben Jahrhundert vier Jahre lang, waehrend meiner Zeit als Leiter der Berliner Moschee, in der Arbeitsgemeinschaft mitwirken und dadurch Zeitzeuge des Beginns des interkonfessionellen Dialogs und der interkonfessionellen Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland werden durfte.

Mohammad Aman Hobohm

01.04.2003

Veroeffentlicht mit Genehmigung des Autors



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1424 / 2003