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"Wir muessen durch Parteieintritt - in alle wirklich demokratisch gesinnten Parteien - dazu beitragen, dass die Parteiprogramme islamkonformer werden"

Murad Hofmann im Gespraech mit islam.de

Montag, 30.08.2004

Murad Hofmann spricht "Tacheles" zum Demokratieverstaendnis im Islam, Muslime in westlichen Parteien und den Ergebnissen der Tagung "Islamic Governance" an der Koeniglichen Akademie fuer Islamisches Denken im Amman (Jordanien).

Dr. Murad Wilfried Hofmann gehoert zu den profundesten deutschsprachigen Kennern des Islam und der islamischen Welt. Der promovierter Volljurist arbeitete 33 Jahre im diplomatischen Dienst, zuletzt als Botschafter in Algerien und Marokko. Er konvertierte 1980 zum Islam, vollzog mehrfach die Pilgerfahrt nach Mekka. Das heutige Ehrenmitglied des Zentralrates der Muslime in Deutschland war von 1983-1987 Informationsdirektor der NATO. Er hat zahlreiche Buecher ueber den Islam geschrieben, die in vielen Sprachen der Welt uebersetzt worden sind. islam.de sprach mit ihm ueber islamisches Demokratieverstaendnis, Muslime in westlichen Parteien und den Ergebnissen der Tagung "Islamic Governance" Hier einige Zitate vorweg:

"Ich vermisste auf Seiten der arabischen Muslime vor allem das Gefuehl fuer die Dringlichkeit demokratischer Reformen"

"...... zur Verhinderung von Machtmissbrauch ist Demokratie nicht nur mit dem Islam kompatibel, sondern jeder anderen Regierungsform ueberlegen (...)1300 Jahre ueberwiegend despotischer muslimischer Geschichte sollten uns davon ueberzeugen."

"..... ueberzeugen, dass sie ihre Schweinshaxe und ihr Koelsch mit Schuss auch dann noch geniessen koennten, wenn die Muslime zur Mehrheit wuerden."

Die Tagungen der Koeniglichen Ahl al-Bait Foundation for Islamic Thought in Amman (Koeniglichen Akademie fuer Islamisches Denken) finden alle zwei Jahre statt und gelten als ueberaus ergiebig und intellektuell solide (islam.de berichtete). Dr. Murad Hofmann ist dort Vollmitglied und kommt gerade aus Amman zurueck.

islam.de: Herr Dr. Hofmann, welche Botschaft geht von der Tagung nach Ihrer Sicht aus und welches herausragendes Ergebnis wuerden Sie hierbei feststellen wollen?

Dr. Hofmann: Die Ahl al-Bayt Foundation for Islamic Thought in Amman ist zweifellos die serioeseste der von mir periodisch besuchten islamischen Konferenzen. Ihre Qualitaet beruht auf einer ausgewogenen Mischung von oestlichen und westlichen Muslimen, Professoren und Imamen sowie Sunniten und Schiiten. Allerdings ist eine Ueberalterung der Teilnehmer unuebersehbar. 2004 ging es um "Islamic Governance", d.h. die islamische Regierungsform, also ein hochaktuelles Thema. Dabei fiel auf, dass die meisten Muslime aus den muslimischen Kernlaendern keinen Gegensatz zwischen Schura und Demokratie sehen, obwohl Schura doch nur einen kleinen Aspekt dessen abdeckt, was westliche Muslime mit Demokratie verbinden, naemlich republikanische Staatsform, Gewaltenteilung, Rotation der Staatsaemter aufgrund allgemeiner Wahlen, Rechtsstaatlichkeit im Verfassungsstaat. Die nichteuropaeischen Muslime stolpern immer noch all zu oft darueber, dass Demokratie woertlich "Volksherrschaft" bedeutet. Diese nominalistische Denkart hindert sie auch zu erkennen, dass Parlamente in westlichen Demokratien keineswegs beschliessen koennen, was sie wollen, sondern - ebenso wie in einer "Schurakratie" - an unabaenderliche Verfassungsvorgaben gebunden sind. Bei Muslimen spielt halt die goettliche Scharia diese begrenzende Verfassungsrolle.

islam.de: Welchen praktischen Nutzen/Wert kann dieses Ergebnis fuer die hier lebenden Muslime haben und was koennen sie tun, damit die Gedanken und Arbeiten der Tagung in die gesellschaftspolitische Arbeit der Muslime mit einfliessen?

Dr. Hofmann: Dass alle Teilnehmer ausser mir sich offensichtlich scheuten, auf dem Boden eines haschemitischen Koenigreichs die Frage nach der islamischen Staatsform zu diskutieren, trug zu dem zwar intellektuell stimulierenden aber nicht-konkludenten Ergebnis der Tagung bei. Ich vermisste auf Seiten der arabischen Muslime vor allem das Gefuehl fuer die Dringlichkeit demokratischer Reformen. Manche begnuegten sich sogar mit dem Hinweis, dass das notwendige Mass an Beratung (Schura) ausweislich des Qur`an ja schon von der Koenigin von Saba verwirklicht worden sei... Wir koennen nur hoffen, dass sich die positive Einstellung vieler im Westen lebender muslimischer Denker, darunter Fathi Osman, Taha Jabir al-Alwani, Rashid al-Ghannouchi, Jeffrey Lang und Azam Tamimi, immer staerker von der muslimischen Kernwelt absorbiert wird.

islam.de: Sie haben wegen ihren ausgedehnten Vortragsreisen viele Laender besuchen koennen, insbesondere im Westen, koennen Sie uns Beispiele gelungener Umsetzungen dieses Konzeptes nennen?

Dr. Hofmann: Ich sehe mich als eine Art Brueckenbauer, der auf seinen Vortragsreisen im Westen und im Osten von beiden Seiten gleichzeitig an einer Begegnung der beiden Welten arbeitet; denn die Missverstaendnisse und das Misstrauen auf beiden Seiten sind monumental. Leider leisten die meisten westlichen und oestlichen Medien keine Aufklaerungsarbeit, sondern oft eher propagandistische Desinformation. Seit dem 11. September ist auf beiden Seiten Angst hinzugetreten und damit emotional geschuerte Irrationalitaet. Zumal die Muslime im Westen zu Geiseln von Terroristen geworden sind, welche den Islam im Mund fuehren, kann ich keine nachhaltige oder gar dauerhafte Erfolgsbilanz aufweisen. Es mag schlechter werden, bevor es besser werden kann.

islam.de: (Scheinbar hinkt Deutschland da hinterher), umso interessanter: In vielen Teilen Deutschlands stehen dieses Jahr z.Z. Kommunal -und Landtagswahlen an, wie kann eine aktive Beteiligung am politischen (Meinungsprozess) dafuer aussehen?

Dr. Hofmann: Die Muslime in Deutschland sind auch dann von den hiesigen politischen Prozessen betroffen, wenn sie wie Opfer abseits stehen; dann ist es aber doch ihre Pflicht, sich in die Politik so einzubringen, dass der Islam ein von allen Parteien zu beruecksichtigender Faktor vor und nach der Wahl wird. Dies ist keine Assimilation, sondern ein Schritt hin zu der von uns zu erwartenden Integration in die Mehrheitsgesellschaft, als einer ihrer unverwechselbaren Bausteine. Eine islamische Partei zu gruenden, liefe auf eine Verschwendung muslimischer Wahlstimmen hinaus. Aber wir duerfen auch nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag auf eine Partei warten, deren Gesamtprogramm, innen- wie aussenpolitisch, uns behagt. Vielmehr muessen wir durch Parteieintritt - in alle wirklich demokratisch gesinnten Parteien - dazu beitragen, dass die Parteiprogramme islamkonformer werden, so wie dies auch Katholiken, Protestanten und Juden tun. Insgesamt handelt es sich dabei um die Verwirklichung des Fiqh-Grundsatzes, dass man - vor zwei Uebeln stehend - das geringere Uebel waehlen muss. Politische Isolation waere jedenfalls das groessere Uebel.

islam.de: Ein Teil der Muslime macht sich immer noch mit Begriffen Demokratie und Volksvertretung schwer, was wuerden Sie denen zurufen und empfehlen?

Dr. Hofmann: Als eine Ideologie koennen wir uns mit Demokratie nicht anfreunden, aber als ein Mechanismus zur Verhinderung von Machtmissbrauch ist Demokratie nicht nur mit dem Islam kompatibel, sondern jeder anderen Regierungsform ueberlegen; denn nur Demokratie garantiert hinreichend, dass auch die Kontrolleure kontrolliert werden. 1300 Jahre ueberwiegend despotischer muslimischer Geschichte sollten uns davon ueberzeugen.

islam.de: Fehlt es etwa an einer Entwicklung einer politischen Kultur unter den Muslimen, oder erstickt gar die stete existenzielle Betrachtungsweise (alles oder nichts, Islam oder kein Islam) jede politische Betaetigung, wo es ja vornehmlich um auf Kompromiss aufgebaute Entscheidungen geht?

Dr. Hofmann: Es gibt viele Gruende dafuer, warum es in der muslimischen Welt bisher - ausser in Malaysia - zu keiner wirklich demokratischen Entwicklung gekommen ist. Dieser Negativbefund ist schliesslich fuer den groessten Teil der Menschheit typisch - noch immer in Asien, Afrika und vielfach in Suedamerika.

Schliesslich ist die erst seit 1950 dauerhafte Demokratie hierzulande den Deutschen auch von aussen aufgezwungen, nicht von ihnen selbst erkaempft worden. Besondere Hindernisse fuer eine demokratische Entwicklung in der muslimischen Welt sind in folgenden Faktoren zu sehen: (i) Fehlen einer Zivilgesellschaft;
(ii) Bunkermentalitaet zufolge der Kolonisierung;
(iii) schlechte Erfahrungen mit Demokratien (u.a. in Kaschmir, Algerien, Palaestina und Tschetschenien);
(iv) westliche Unterstuetzung von absolutistischen und Militaerregimen in der muslimischen Welt;
(v) PALAESTINA. Niemand hat Demokratie in der 3. Welt so stark diskreditiert wie imperialistisches Auftreten der USA und ihre Mittaeterschaft in Palaestina.
Hinzukommt die unhistorische sektiererische Intoleranz unter zeitgenoessischen Muslimen, die mangelnde Transparenz ihrer Organisationen und der oft zu geringe Bildungsgrad ihrer Imame.

islam.de: Warum diskutieren oft Teile der Mehrheitsgesellschaft ueber die Beteilung der Muslime in der Politik unter dem Deckmantel der islamischen Infiltrierung unserer Gesellschaft? Stichwort Gang durch die Institutionen - , bei anderen Gruppierungen z.B. Juden, Christen oder anderer relevante Gruppen dieser Gesellschaft erkennt man es an als ein ehrenwertes und ziviles Buergerrecht an, von dem eine demokratische Gesellschaft ja letztendlich lebt?

Dr. Hofmann: Da Europa in geradezu erschreckendem Ausmass entchristlicht und damit irreligioes geworden ist, empfinden viele der saekularisierten Europaeer jede Form aktiver, in den oeffentlichen Raum hineingetragener Religiositaet als eine Gefahr fuer die inzwischen etablierte materialistische und konsumeristische Lebensform. Man fuerchtet fuer seine "Wellness" wie fuer seine legalisierte Drogenwelt (Nikotin, Alkohol, Haschisch) fuer den Fall, dass die Muslime das Sagen haetten, so unwahrscheinlich dies statistisch gesehen auch ist. Religionen werden nur noch toleriert, wenn sie zu einer blossen Privatangelegenheit, also "privatisiert" werden. Vor den Muslimen erschrickt man, weil nur sie ihre Religion noch ganz ernst nehmen und in ihr eine allumfassende Lebensform (ad-din) sehen. Es ist daher essentiell, dass die hiesigen Muslime ihre Umwelt davon unterrichten, dass das islamische Minderheitenrecht das liberalste Statut fuer Andersglaeubige ist, das die Welt bis heute gesehen oder normiert hat. Nur so koennen wir hoffen, unsere Nachbarn davon zu ueberzeugen, dass sie ihre Schweinshaxe und ihr Koelsch mit Schuss auch dann noch geniessen koennten, wenn die Muslime zur Mehrheit wuerden.

islam.de: Bruder Murad, wir danken Ihnen fuer das Gespraech.

(Das Interview fuehrte Aiman Mazyek, Chefredakteur islam.de)

Quelle: www.islam.de



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1425 / 2004