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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


Feindliche Uebernahme

Offener Brief an den Herausgeber des Spiegels
Navid Kermani in der taz Nr. 7177 vom 9.10.2003

Natuerlich gibt es anstaendige Muslime, nur sind sie die Ausnahme. Das zumindest suggerieren Medien wie etwa "Der Spiegel". Ein offener Brief an den Herausgeber

Sehr geehrter Herr Aust,

leider schreibe ich Ihnen erst jetzt, da Sie bereits das naechste Heft herausgebracht haben. Als ich das Kopftuch auf dem Titelbild der letzten Ausgabe sah, wusste ich schon, dass ich sie besser nicht kaufen sollte. Aber dann kaufte meine Frau das Heft. Ein paar Tage lag es auf der Fensterbank neben dem Esstisch, ohne dass ich es nahm, aber als dann heute Morgen die Zeitung nicht kam, nahm ich es doch und schlug wie zufaellig die Seite auf, auf der Sie die betenden Muslime unter anderem neben verblutenden Hammeln abgebildet haben. Ich habe den Artikel nur ueberflogen. Schon bei Ihrem letzten Islamheft, das die Schiiten zum Titelthema hatte, beging ich den Fehler, es zu lesen, und wo ich mich unter normalen Umstaenden nur darueber gewundert haette, wie gut ausgebildete, intelligente Journalisten so viele falsche - nein, nicht tendenzioese oder einseitige, sondern schlicht falsche, von jedem Fachbuch, jedem serioesen Islamwissenschaftler zu widerlegende - Informationen in einem Artikel unterbringen koennen, wo ich mich also normalerweise nur gefragt haette, warum sich Ihr Haus kein anstaendiges Redigat leistet, da habe ich mich erschrocken.

Ich kenne natuerlich den Stil Ihres Magazins, ich weiss, wie Sie Zitate aneinander reihen, die urspruenglich nichts miteinander zu tun haben, wie Sie in die Nachrichten vieldeutige Bemerkungen einflechten und bei der Auswahl der Bilder und ihrer Unterschriften genau darauf achten, dass sie die Suggestion verstaerken. Darueber ist oft geschrieben worden, und man kann Ihnen viel vorwerfen, aber nicht, dass Sie die Opfer Ihrer Investigationen nicht mit stets gleicher Lust vorfuehren. Wenn es die Richtigen traf, Herrn Flick, Herrn Kohl oder in letzter Zeit Herrn Bush, habe ich mich auch keineswegs darueber empoert, im Gegenteil. Ich weiss schon, es ist kein Ressentiment, wenn Sie bei einem Aufmacher ueber die Schiiten, den Islam oder jetzt ueber die Muslime in Deutschland auf die gleiche Weise verfahren. Es ist einfach Ihre Art. Ich habe immer schon gedacht, wie unangenehm es sein muss, so vorgefuehrt zu werden, und dass ich schon deshalb froh bin, kein Politiker zu sein, weil der Montagspranger dann gewissermassen zum Berufsrisiko gehoeren wuerde. Aber dann stand ich doch da, am Pranger, obwohl ich nirgends eingetreten bin, nichts unterschrieben habe und der Verfassungsschutz mir gewiss jede Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen wuerde, bloss aufgrund meiner Herkunft: als schiitischer Muslim in Deutschland. Dabei traegt seit zwei Generationen niemand bei uns ein Kopftuch; nicht einmal einen Bart haben wir uns in den letzten Jahren zuschulden kommen lassen, es sei denn, ich war wieder mal zu verkatert, um mich zu rasieren.

Gewiss, Sie werden sagen, dass Sie doch gar nicht die Muslime an sich angegriffen haben, sondern nur die boesen Fundamentalisten. Das sagt man immer. Gegen die Juden an sich hatte man auch nichts, und wenn Sie laesen, wie viele anstaendige Armenier es Anfang des vergangenen Jahrhunderts in der Tuerkei gab, wuerden Sie staunen. Auch Der Spiegel kennt anstaendige Muslime, diese junge Frau etwa am Ende Ihres Artikels, die frueher so verbohrt war, ein Kopftuch zu tragen, und sich endlich befreit hat. Es ist nur gerecht, dass sie nun auch eine Arbeit findet oder eine neue Wohnung. Schliesslich geht sie neuerdings in die Disco.

Wenn Sie mich kennen lernten, wuerden Sie sagen, ich gehoere doch auch zu den so genannten "gemaessigten" Muslimen, und meine Frau, meine Eltern, meine gesamte Familie ebenso. Ja, wahrscheinlich wuerden Sie einen Skandal daraus machen, wenn Leute wie wir keine Arbeit oder keine Wohnung mehr in Deutschland faenden, schliesslich sind Sie kein Rassist. Aber dann wuerde ich sagen: Ich bin nicht Onkel Tom. Ich wuerde sagen, dass ich zu denen gehoere, nicht zu Ihnen. Ich wuerde mich in einem "Wir" wiederfinden, das ich zuvor nicht reflektiert habe, naemlich einem "Wir Muslime". Das ist schrecklich. Ich will keinem oeffentlichen "Wir" angehoeren; einem Fussballverein vielleicht, aber doch keiner gesellschaftlichen Randgruppe. Aber Ihr Artikel zwingt mich in dieses "Wir", indem er Einzelne von uns bewusst ausnimmt, gewissermassen adoptiert, nur um den Rest zu Fanatikern zu erklaeren, zu Barbaren und Frauenhassern. Da gehoere ich lieber zu den Barbaren als zu Ihnen. Da beharre ich lieber darauf, dass ich zu einer Kultur gehoere, in der manche Frauen Kopftuch tragen. Genau das, was Sie heuchlerisch beklagen, befoerdern Sie: dass gerade Migrantenkinder der zweiten und dritten Generation sich - statt sich zu integrieren - immer haeufiger in die Imagination ihrer Elternkultur zurueckziehen.

Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob religioese Symbole wie das Kopftuch in der Schule einen Platz haben, aber wenn Sie jeder Frau, die es traegt, schon deshalb Umsturzplaene fuer Deutschland unterstellen und dass sie sich in die Unterdrueckung ergeben haette, ist das mehr als nur eine Verleumdung: Sie heizen jenes Klima noch an, in dem Musliminnen in Deutschland auf der Strasse angespuckt oder aufgefordert werden, zu den Mullahs zurueckzukehren. Das eben ist der Unterschied, ob Sie Ihre Kampagne gegen eine Partei oder eine gesellschaftliche Gruppe richten: Die Empoerung gegen Letztere entlaedt sich nicht bloss auf Wahlzetteln. Indem Sie implizit gutheissen, dass Frauen mit Kopftuch keine Arbeit mehr finden in Deutschland oder keine neue Wohnung, gehen Sie viel weiter als Herr Beckstein oder die Bild-Zeitung - Sie wollen diese Frauen nicht bloss aus den Schulen, sondern aus dem Land haben. Sie waeren nicht die Einzigen, die gehen wuerden.

Zum Glueck aber ist die notwendige, ueberfaellige Diskussion um den Islam in Deutschland weit differenzierter als in Ihrem aufklaererischen Magazin.

Mit freundlichen Gruessen bin ich Ihr Navid Kermani

P.S.: Die taz bat mich, dem Brief 1.200 Zeichen hinzuzufuegen, damit er die Seite ausfuellt. Das nutze ich, um nachzutragen, wie unwohl mir dabei ist, den Islam oder die Muslime gewissermassen zu verteidigen (so jedenfalls muss es wirken). Ich sehe die Aufgabe des Intellektuellen wie des Literaten darin, die jeweils eigenen Kulturen in ihrer Abscheulichkeit zu sezieren. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, dass ich den erbaermlichen Zustand, in dem sich viele muslimische Laender, ja der Islam als Zivilisation heute befindet, weit praeziser beschrieben habe, als es je in den Floskeln moeglich waere, auf die Sie den Intellekt Ihrer Autoren wie Leser zurechtstutzen. Um gar nicht erst der Gefahr des Apologetischen ausgesetzt zu sein, will ich instinktiv die Augen schliessen vor Spiegel-Ausgaben oder Talksendungen zum Islam. Aber wenn der Nachbar im Kiosk und der Landesverfassungsrichter in der FAZ, der Historiker aus Bielefeld und der Bischof aus Berlin nach der Lektuere Ihres Heftes und aehnlich gedankenarmer Publikationen sich mit genuegend Informationen ausgestattet sehen, Fatwas zum Islam abzugeben, platzt mir gelegentlich der Kragen. Mehr nicht.

taz Nr. 7177 vom 9.10.2003, Seite 12



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1424 / 2003