Startseite/Home der DMLBonn e.V. Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V. Carl Osman und das TuerkenmariandlSchon Jahrhunderte bevor die ersten Arbeitsimmigranten kamen, wurden hierzulande aus Tuerken Deutsche (gemacht)
Von Hartmut Heller Eine Grabinschrift in der Kirche von Elsnig bei Torgau in Sachsen erzaehlt von einer wundersamen Ehe: Hier wurde Sophia Wilhelmina Kayserin beigesetzt, 1735 verstorbene Gattin des oertlichen Herrn Pastor - die eine gebuertige Tuerkin war. Eine Tuerkin? Die Frau Pastor? Wie sind sich die beiden begegnet, damals, lange vor jedem Tourismus und der grossen Gastarbeitereinwanderung des Industriezeitalters? Und: Ist es bloss ein aussergewoehnlicher Einzelfall, eine bizarre Episode? Doch, siehe da, auf dem Gottesacker von Brake bei Detmold in Ostwestfalen befindet sich ein aehnliches Epitaph, 1689 gestiftet zur Bestattung des sechsjaehrigen Knaben Mustaf, Sohn eines gewissen Hussein. Urspruenglich stand es, weil man die "Heiden" so zur letzten Ruhe zu betten pflegte, jenseits der Mauer. Ein drittes solches Grabkreuz auf dem Friedhof von Ruegland in Mittelfranken erzaehlt gleich eine ganze Geschichte: "Hier ruht in Gott Carl Osman, ward geb. in Constantinopel 1655 / vor Belgrad gefangen 1688 / zu Ruegland getauft 1727 / in diensten gestanden 47 Jahr, starb 1735 alt 80 Jahr." Doch allein mit solchen oeffentlich sichtbaren Zeugnissen, deren es nur wenige gibt, kaemen wir bei unserer Suche nicht sehr weit. Erst wenn wir die Quellengattung wechseln und quer durchs Land in den Kirchenbuechern blaettern, waechst das Material so an, dass es unser Bild von der deutschen Bevoelkerungsgeschichte tatsaechlich um einiges veraendert. Auch ueber Carl Osman in Ruegland zum Beispiel erfahren wir auf diesem Wege noch mehr. Anlaesslich seiner Taufe schenkte er der Kirche zwei Augsburger Silberleuchter. Fuer seine Beerdigung setzte er schlitzohrig von seinen Ersparnissen jedem Teilnehmer fuenf Kreuzer aus; so kam er zu einer "grossen Leich" mit sage und schreibe 925 Trauergaesten... Ueber 600 solcher Faelle konnten bisher auf diese Weise allein auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik identifiziert werden: Lebenslauffragmente von Menschen, die dem Osmanischen Reich entstammten, allesamt demnach Muslime waren und spaeter ihr Leben "bei uns" fortsetzten. Und staendig kommen weitere Fallgeschichten dazu, die meisten aus dem 16. und 17.Jahrhundert, der Zeit der "Tuerkenkriege". Diese Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich hinterliessen tiefe Spuren im Abendland, vor allem seit Sultan Mehmet II. 1453 Konstantinopel erobert hatte (ZEIT Nr. 23/03) und das alte Byzanz endgueltig untergegangen war. Noch vor dem beruehmten ersten Bibeldruck erschien 1454 aus Gutenbergs Werkstatt in Mainz ein Kalender wider die Tuerken. 1529 rueckte Sultan Soliman der Praechtige erstmals bis nach Wien vor; einzelne Reitertrupps schwaermten noch weiter westwaerts. Voller Angst vor einem Durchbruch verstaerkten bereits bayerische und fraenkische Staedte wie Burghausen, Passau, Nuernberg ihre Wallmauern. Eine schwangere Tuerkin kostet so viel wie ein Zentner Zucker Man wertete den Siegeszug des Halbmonds als Strafe fuer die eigenen Suenden, lobte bisweilen sogar die Moral der "Heiden". In den Jahren 1593 bis 1606 wogte der so genannte Lange Tuerkenkrieg vor allem in Ungarn hin und her. Den Vorstoss des naechsten Tuerkenheeres schlug Feldmarschall Raimund Montecuccoli 1664 im Burgenland zurueck, bei St. Gotthard an der Raab. Am eindringlichsten aber blieb das Jahr 1683 in Erinnerung, als die Belagerung Wiens durch den Grosswesir Kara Mustapha scheiterte. Die vereinten Armeen des Kaisers, des Polenkoenigs Johann III. Sobieski und anderer deutscher Reichsstaende feierten ihren Sieg als Triumph der Christenheit. Danach wendete sich das osmanische Kriegsglueck endgueltig. 1685 verloren die Tuerken die Festung Neuhaeusel, 1686 Ofen (Budapest), 1787 Mohács, 1688 Belgrad. Noch Generationen spaeter verkuendeten Erzaehlungen und Lieder den Ruhm der siegreichen Generaele: des Markgrafen Ludwig von Baden (des "Tuerkenlouis"), des (wegen der Farbe seiner Uniform) so genannten blauen Kurfuersten Max Emanuel von Bayern oder des Prinzen Eugen von Savoyen, aber auch mancher Anfuehrer innerer Aufstaende gegen die Tuerkenherrschaft wie zum Beispiel des Vlad Tzepes' in der Walachei, dessen Bild sich erst spaeter zu "Graf Dracula" verfinsterte. Es war, in jenen Tagen nicht ungewoehnlich, ein etwas seltsamer Krieg. Er fand nur im Sommer statt. Im Herbst wurden die Truppen entlassen; den Winter ueber vergnuegten sich Heerfuehrer wie Max Emanuel lieber beim Karneval in Venedig. Und es war ein grausamer Krieg: Die Besiegten genossen keinerlei Schutz. In den osmanischen Besatzungsgebieten auf dem Balkan nahm die Obrigkeit den christlichen Familien ihre Soehnchen weg, um die Knaben durch gruendliche Umerziehung fuer den Islam zu fanatisieren; zu jungen Maennern herangewachsen, bildeten sie schliesslich die gefuerchtete Janitscharentruppe der osmanischen Armee. Aus Kriegsgefangenen aber machte man Sklaven, denen nur selten irgendwann einmal die Flucht gelang. Jedoch stand keine Seite der anderen an Gefuehllosigkeit nach. Die christlichen Sieger handelten nicht viel anders. Die in den Schlachten niedergemetzelten Muslime warf man einfach in die Donau. Oder man verarbeitete sie zu "Mumia": gedoerrt, pulverisiert oder in Stuecken - eine makabre Wundermedizin der Zeit. Die Ueberlebenden aber wurden in grosser Zahl verschleppt. Die Dokumente jener Jahre sprechen eine kuehle Sprache. Ueber einen bis Ribbekardt in Pommern gelangten jungen Tuerken heisst es, "Bernd Friedrich v. Edeling, saechs. Leutnant", habe ihn "vorher bei Eroberung der Stadt Ofen gefangen genommen u. ihn nach Massacrierung seiner Eltern pardonnieret". Die kraeftigsten "Beutetuerken" und schoensten "Beutetuerkinnen" nahmen sich die adeligen Offiziere, die Generaele und Obristen. Aber auch die niederen Dienstgrade bis hin zu den Militaergeistlichen kamen zum Zuge. Spaeter werden wir die Opfer deshalb bevorzugt in (Residenz-)Staedten wie Hannover, Berlin, Stuttgart, Heidelberg, Muenchen oder kleineren Herrschaftssitzen wie zum Beispiel im hohenlohischen Langenberg, auf Schloss Lich in Hessen, im thueringischen Sondershausen, in Wellendingen bei Rottweil, im Kloster Attel nahe Wasserburg am Inn oder bei den Grafen Thuengen zu Zeitlofs in Unterfranken wiederfinden, doch auch in anderen Kleinstaedten und Doerfern - insgesamt weit verstreut, nirgends eine eigene Gruppe bildend. Ueber das Motiv dieses systematischen Menschenraubs koennen wir nur raetseln, zumal es gleichermassen Soldaten, Frauen und noch mehr Kinder waren, die man deportierte. Rache? Hoffnung auf Loesegeld? Die Idee, in militanter Mission dem Islam Seelen zu entreissen? Mitleid mit verwaist umherirrenden Kleinen? Schiere Beutelust und der Wunsch, als Zeugnis der eigenen Tapferkeit Trophaeen mit nach Hause zu bringen - so wie man zur Leipziger Neujahrsmesse 1684 ganze Faesser voll abgeschlagener Tuerkenkoepfe zum Verkauf anlieferte? Meistens war man wohl auf "Souvenirs" aus. Das Barock liebte das Exotische - Chinoiserien, Hofmohren und nun eben auch Turquerien. Eine schwangere Tuerkin kostete 1686 in Leipzig uebrigens so viel wie ein Zentner Zucker. Der Integrationsprozess der "Beutetuerken" hierzulande, nachdem ihre Herren oft noch mehrmals gewechselt hatten, war nicht einfach. Wie lernten sie zunaechst Deutsch, um sich ueberhaupt in der neuen Umwelt zu verstaendigen? Die 14-jaehrige Fatyma auf Schloss Neunhof bei Nuernberg, die sich schon binnen zweier Jahre in der "Schule und Kinderlehre" die "Teutsche Sprache und Haubtstuecke der Christlichen Lehre" so gut aneignete, dass sie "auf alle Fragen deutliche und vergnuegliche Antwort" geben konnte, schaffte das ungewoehnlich schnell. Insgesamt setzte man, dieser Seitenblick auf unsere Pisa-Studie sei erlaubt, vor allem auf Individualunterricht. Man betraute damit die Pfarrer. Um Maedchen und Kinder kuemmerte sich die adelige Hausfrau aber oft auch selbst. Aus vielen solcher Detailbeobachtungen gewinnt man den Eindruck, dass sich der anfaengliche Sklavenstatus dadurch rasch verfluechtigte, die Beziehungen bald persoenlich, fuersorglich, mitunter sogar warmherzig-familiaer wurden. Als 1705 Preussens Koenigin Sophie Charlotte im Sterben lag, wollte sie nur mehr ihren tuerkischen Leibdiener Aly bei sich dulden. Und auf Schloss Paehl am Ammersee verfuegte die Freifrau Maria Anna von Berndorff im Testament, dass man ihrem lieben "duercken Mariaendl" auch weiterhin die Miete fuer eine Wohnung im nahen Staedtchen Weilheim bezahlen moege. Ali und Fatyma heissen jetzt Heinrich und Susanna Der Spracherwerb hatte aber stets noch einen zweiten Zweck. Durch Bibel-, Katechismus- und Gesangbuchunterricht sollte gezielt auf die Taufe vorbereitet werden, die man von jedem muslimischen "Unglaeubigen" wie selbstverstaendlich nach zwei bis drei Jahren erwartete, vielleicht sogar forderte, in Einzelfaellen, wie bei dem Rueglaender Osman, aber auch mit jahrzehntelanger Toleranz geduldig hinausschob. In ihren Predigten und Kirchenbucheintraegen ueberhoehten die Geistlichen diesen Schritt, der vielen der erwachsenen Muslime gewiss schwer fiel, gern euphorisch zur freudigsten Ergebung in Gottes Willen. So habe eine alte Frau mit "sehnlichem Verlangen nach ... unserer christ-evangelischen Kuerchen" begehrt, heisst es 1689 in Memmingen. Die tatsaechliche Bedeutung dieses Taufaktes war gross; er kam einer heutigen Einbuergerung gleich. Deshalb inszenierte die Obrigkeit solche "Tuerkentaufen" gern mit allergroesstem Aufwand. Oft wurde mehr als ein Dutzend Paten aufgeboten, darunter viele aus hoechstem Adel, Buergermeister, Ratsherren, Kaufleute, Baronessen. Hunderte von Zuschauern draengten in die Kirche; immer wieder lesen wir von "volkreicher Versammlung", "magno confluxu". Sie erlebten dort zunaechst ein durchaus kompliziertes Taufexamen ("Wie lautet die Verheissung Gottes?", "Wie irren die Tuerken von Gottes Wesen?", heisst es zum Beispiel 1599 in Amberg in der Oberpfalz), das nicht selten in der entwuerdigenden Selbstverfluchung zu gipfeln hatte, bisher dem "verdamblichen greuel der Mahometischen Gotteslaesterung" angehangen zu haben. War der Taeufling der deutschen Sprache noch nicht recht maechtig, genuegte bisweilen aber auch ein blosses "Ja ich glaub, ja ich will". Dann folgte am Taufbecken die Einsegnung. Dabei erhielt der Taeufling zugleich einen neuen, christlichen Namen. So hiessen zum Beispiel Achmeth, Hussein, Fatyma, Ali, Ibrahim fortan (oft nach den jeweiligen Taufpaten) Johann Heinrich, Johann Mauritz, Susanna Rosina, Christian Friedrich; gern waehlte man Imperativformen: Gottlob oder Fuerchtegott. Nachnamen ergaben sich oft aus dem Ort der Gefangennahme (Ofen, Belgrad, Weissenburger = Stuhlweissenburg), dem neuen Wohnort (Dillinger, Auerbacher, Neumarkter, Brandenburger), dem Religionswechsel selbst (Liebgott, Christ) oder heute nicht mehr interpretierbarer Willkuer (Mahler, Lang, Geyer, Strauss, Moericke). Dass eine Betruegerin sich wegen der zu erwartenden Geschenke an verschiedenen Orten insgesamt neunmal taufen liess oder zuvor protestantisch getaufte Tuerken in Gebieten der Gegenreformation spaeter nochmals "rekatholisiert" wurden, gehoert dabei zu den pittoresken Randerscheinungen. Zwar wurde bei den Umbenennungen nicht durchweg jedes Indiz getilgt, gelegentlich verblieben wunderliche Mischformen, zum Beispiel Maria Anna Fadama, Conradus Mustapha oder eben jener Carl Osman (beziehungsweise spaeter dann Ossmann). Doch fuer die Masse gilt, dass die Konversion den Einzelnen mit einem Schlag gaenzlich unauffaellig in die christliche Umwelt entliess. In jener Zeit einer allgemein geringen Lebenserwartung hat es nichts zu bedeuten, dass viele dieser neuen Deutschen frueh verstarben (einige von ihnen erreichten aber auch ein biblisches Alter). Etliche heirateten; sie hatten Kinder. Die Linien lassen sich zuweilen bis in heutige Familien verfolgen. Auch Goethe uebrigens wird solch ein tuerkischer Ahn nachgesagt, und es ist nicht nur die junge muslimische Szene in Deutschland, die sich ueber jene vage Verbindung ins 14. Jahrhundert zu Sadok Selim Soltan im wuerttembergischen Brackenheim freut und in den Versen des West-oestlichen Divan eine innere Praegung zu verspueren meint. Ueber diese Hochzeiten und Familiengruendungen reden die Pfarrmatrikel nur mehr beilaeufig, wenn etwa der Braeutigam baptisat. Turca, ein Elternteil "gewester Tuerk" oder bei einem Sterbeeintrag des "Baders allhie Haussfrau, eine getaufte Tuerkin" genannt werden. Aus solchen Bausteinchen fuegt sich aber dennoch das Bild der Moeglichkeiten zusammen: Die Maenner verehelichten sich mit Dienstmaegden, Baeckers-, Maurers-, Wirts-, Schnapsbrenners-, Tagloehners- oder Eulenfaengerstoechtern. Die Frauen fanden als Gatten Foerster, Schreiner, Boettcher, Wagner, Schneider, Kaufleute, Musikanten, Buchbinder, Muehlknechte. Auch Schulmeister und mehrfach Pfarrer kamen infrage - insgesamt durchaus mittelstaendische Verhaeltnisse. Ein deutsches Maedchen wurde von Ibrahim (schmucker Reiter einst bei der Spahi-Truppe des Sultans) noch vor dessen Taufe geschwaengert; trotzdem spendierte die Herrschaft den beiden zur Hochzeit - keine Spur von Strafe fuer diese Unzucht - ein Festessen, sogar auf dem Schloss selbst. Am besten trafen es ehemalige Maetressen. August der Starke, Koenig von Sachsen, vermaehlte seine Fatime Kariman hernach mit einem nobilitierten Hofbeamten. Des Oberkommandierenden Hermann von Baden schoene, 1686 in Budapest eroberte Fatma wurde spaeter eine Graefin Castell und verkehrte auch weiter in hoechsten Kreisen, bis sie, verwitwet, in ein Kloster am Bodensee eintrat. Dass Deutsch-Tuerken untereinander heirateten, hoeren wir selten. Fast uneingeschraenktes Konnubium also - ein feineres Indiz dafuer, in der neuen Gesellschaft angekommen zu sein, gibt es nicht! Und wie verdienten sich all diese Neubuerger ihr taegliches Brot? Der leichtere, obgleich unfreiere Weg war es, auch nach der Taufe im Haushalt des bisherigen Besitzers zu bleiben. Scharenweise treffen wir daher um 1700 auf den Schloessern Tuerkinnen und Tuerken als Zofen und Lakaien an, als Koechinnen, Stallknechte, Kutscher, Wachsoldaten, Falkner, Jaeger, Foerster, Kanzleiboten sowie in Kloestern zum Beispiel als Brauknechte. Mit Paukern, mit Beckenschlaegern, Hautboisten und Trompetern, die man bei den Janitscharentruppen gefangen hatte, ruesteten Fuersten ihre eigenen Militaerkapellen um auf dieses so viel klangvollere Instrumentarium des ehemaligen Feindes. Manchen gab die Herrschaft ausgesprochene Vertrauensposten, machte sie zum Beispiel zum Steuereinnehmer, zum Vogt ueber die oertlichen Bauern oder gar zum Stadthauptmann, so geschehen in Berlin-Charlottenburg. Ein paar besonders begabte Juenglinge durften studieren und wurden Pfarrer oder, einer in Liegnitz, Lehrer am Gymnasium. Sogar mit einem erblichen Adelstitel, Mehmet von Koenigstreu, dankte der Kurfuerst von Hannover, als er zugleich englischer Koenig wurde, seinem langjaehrigen Kammerdiener. Es ist erstaunlich, welche Aufstiegschancen, nicht nur durch Heirat, demnach bereits der ersten Generation offen standen! Fantastische Geschichten - und ganz normale deutsche Lebenslaeufe Die Mutigeren, in anderen Faellen erst die Soehne, wagten sich auch schon in die volle Unabhaengigkeit und ergriffen Berufe als Leineweber, als Schuster, Baecker oder als Branntweinbrenner. Johannes Christ am Bodensee wurde Winzer. Einer in Unterelchingen bei Ulm kaufte sich, nachdem er zuvor mit einer Gastwirtschaft gescheitert war, eine Bauernsoelde. In Wuerzburg eroeffnete der gebuertige Tuerke Nikolaus Strauss 1697 das erste Kaffeehaus. Wie bewegend sich das Schicksal aber auch runden konnte, beweist Anna Maria Christmann, Tochter eines 1695 zu Gingen an der Fils konvertierten Muslims. Hoffnungslos verarmt, legte sie schliesslich Maennerkleider an und liess sich als Soldat anwerben; 1715/17 kaempfte sie vor Peterwardein und Belgrad. Nach gluecklicher Rueckkehr wurde sie Briefbotin in Stuttgart. Die Radikalitaet des religioesen Bruches verspueren wir am staerksten bei jenem Taeufling, der hernach sein Leben als Pater Josephus im Hildesheimer Kartaeuserkloster fortsetzte. So koennte man noch viele deutsch-tuerkische Geschichten erzaehlen. Geschichten, die zum Teil unglaublich klingen. Doch die meisten von ihnen muenden, frueher oder spaeter, in ganz gewoehnliche deutsche Lebenslaeufe. Als die Istanbuler Zeitschrift Aktueel vor einiger Zeit diese Forschungen ueber die "Beutetuerken" des 16. und 17. Jahrhunderts aufgriff und dazu titelte 300-jaehriges tuerkisches Blut in den Deutschen, uebertrieb sie zwar ein bisschen sehr. Doch zu einem gewissen Quantum ist es wahr. Und mancher, der von einem solchen Vorfahren in der eigenen Familie bisher nur nichts weiss, wuerde vielleicht etwas anders denken - ueber das Verhaeltnis zwischen Tuerken und Deutschen, die tuerkischen Nachbarn hier und wohl auch ueber die Tuerken in Europa. Der Autor ist Professor fuer Landes- und Volkskunde an der Universitaet Erlangen-Nuernberg. Er waere dankbar fuer weitere Fallbeispiele Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1424 / 2003 |