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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


Stellungnahme zu den Auseinandersetzungen um die Koenig-Fahd-Akademie

TIK   Team fuer interkulturelle Kommunikation

Bianca Kaltschmitt - Irmgard Pinn - Marlies Wehner

 

Bonn, den 6. November 2003

 

In einem Beitrag des ARD-Magazins PANORAMA wurden am 2. Oktober schwerwiegende Anschuldigungen gegen die Bonner Koenig-Fahd-Akademie erhoben: Sie habe sich zu einem "Zentrum radikaler Islamisten" entwickelt, wo der Imam beim Freitagsgebet zum Heiligen Krieg aufrufe. Am 23. 10. behauptete PANORAMA darueber hinaus, "im Umfeld der Akademie" seien bei Razzien Substanzen fuer ein Sprengstoffattentat, Al-Qaida-typische Anleitungen zum Bombenbau und Vordrucke fuer "Maertyrer-Testamente" gefunden worden.

Beide Sendungen erweisen sich bei naeherer Betrachtung rasch als Konglomerate von in einer bestimmten Weise zusammengeschnittenen und interpretierten Einzelbeobachtungen, von Vermutungen und Verdaechtigungen, wie sie ansonsten in politischen TV-Magazinen (und im serioesen Journalismus allgemein) verpoent sind. So werden als Beweismaterial fuer den gegen die Koenig-Fahd-Akademie erhobene Vorwurf, Kinder zu Hass und Gewalt aufzuhetzen, Aussagen und Aufsatz-Zitate angefuehrt, die aus dem Umfeld einer tuerkischen islamischen Vereinigung stammen, welche mit der bekanntlich in saudischer Traegerschaft stehenden Akademie ueberhaupt nichts zu tun hat. Dies wird zwar korrekt erwaehnt, duerfte jedoch den allermeisten Fernsehzuschauern und - wie sich in der Folgezeit zeigte - auch den Zustaendigen in Politik und Verwaltung entgangen sein. Offenbar fand sich kein einziger Zeuge, kein einziger Beleg fuer die Behauptung, bei der Koenig-Fahd-Akademie handele es sich um eine "Brutstaette der Gewalt", weshalb im Vertrauen darauf, dass das gewiss niemand auffallen wuerde, irgendjemand die passenden O-Toene liefern musste. Und genau das hat sich dann ja auch bewahrheitet. (Auf die Predigt, in der angeblich zum "Heiligen Krieg" aufgerufen wurde, werden wir noch zu sprechen kommen.)

Statt nun wenigstens im Nachhinein die ungeheuerlichen Anschuldigungen - wie es nach den Regeln einer fairen, demokratischen Meinungsbildung eigentlich zu erwarten gewesen waere - mit einer in beide Richtungen kritischen Haltung zu ueberpruefen, wurden sie von den Medien und den Zustaendigen in Politik und Verwaltung fast ausnahmslos als keiner weiteren Nachfrage beduerftige "Tatsachen" rezipiert. Durch anschliessende Zeitungsartikel wie auch durch Verlautbarungen und Aktivitaeten der politisch Verantwortlichen verstaerkte sich von Tag zu Tag der Eindruck, PANORAMA habe tatsaechlich einen Skandal aufgedeckt, gegen den nun rasch und energisch eingeschritten werden muesse. Folgerichtig schien Ende Oktober die Schliessung der Akademie unmittelbar bevorzustehen. Doch bekanntlich kam es anders: Der Schulbetrieb wird fortgesetzt, wenn auch mit erheblichen Einschraenkungen und strengen Auflagen. Doch selbst diese Entwicklung wird nicht etwa zum Anlass genommen, wenigstens nachtraeglich die Vorwuerfe und Verdaechtigungen einer kritischen Ueberpruefung zu unterziehen, sondern wird - bedauernd oder mit bissiger Ironie - mit aussenpolitischen Ruecksichen auf die Beziehungen zu Saudi-Arabien erklaert.

Das Team fuer interkulturelle Kommunikation (TIK) ist seit langem auf vielfaeltige Weise im Dialog zwischen den Kulturen und Religionen engagiert. Wir forschen und publizieren zu Themen wie "Muslime in Deutschland", "Die Stellung der Frau im Islam" und "Islam in den Medien". Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt im paedagogischen Bereich, z.B. in der Aus- und Fortbildung von SozialarbeiterInnen, ErzieherInnen, Verwaltungsangestellten, PolizistInnen und LehrerInnen. Als Musliminnen sind wir zudem in der hiesigen muslimischen Community aktiv. Obwohl uns die aktuellen Auseinandersetzungen um die Koenig-Fahd-Aka-demie in keiner Weise direkt betreffen, haben wir sie mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt.

Dabei stolperten wir immer wieder ueber unklare oder widerspruechliche Darstellungen der Faktenlage, und etliche Fragen, deren Beantwortung unseres Erachtens jeder Urteilsbildung vorausgehen muesste, wurden ueberhaupt noch nicht thematisiert. Darueber hinaus mangelt es allen Beteiligten ganz offensichtlich an interkultureller Kompetenz, was auf deutscher Seite zu einem aufgescheuchten, die eigenen demokratischen Prinzipien und die Auswirkungen auf die gesamte muslimische Community voellig aus dem Blick verlierenden Aktionismus fuehrte, sich aber auch in der Art und Weise zeigte, wie die Akademie und die Elternschaft auf die Vorwuerfe reagierten.

Wenn also die jetzt getroffene Vereinbarung zur Fortsetzung des Schulbetriebs an der Akademie sowie zur Umschulung jener Kinder, die nicht die Kriterien fuer eine Ausnahmegenehmigung erfuellen, mehr bewirken soll als ein Hinausschieben der Konflikte, womoeglich in der Hoffnung, manches werde sich dann mit etwas administrativer Nachhilfe schon von alleine erledigen, bedarf es nach unserer Ueberzeugung sowohl der Klaerung einiger offener Fragen als auch eines die Regeln interkulturellen Konfliktmanagements beruecksichtigenden Dialogs aller Beteiligten mit dem Ziel einer gerechten, demokratischen und - soweit Schuelerinnen und Schueler, die auf Dauer in der Bundesrepublik leben werden, betroffen sind - an Integration (nicht Assimilation) orientierten Loesung.

Offene Fragen:

1. Fragen zur Koenig-Fahd-Akademie, ihren Schuelern und der deutschen Schulbuerokratie

Nach wie vor ist der rechtliche Status der Koenig-Fahd-Akademie fuer Aussenstehende undurchschaubar. In den Medien und den Informationen aus Politik und Verwaltung ist mal von "Privatschule" oder "Auslandsschule", dann wieder von "Ersatzschule" oder "Ergaenzungsschule" und sogar von "Koran-Schule" die Rede. Erst recht bleibt unklar, was daraus fuer den Lehrplan folgt, in welchem Verhaeltnis die Akademie zur deutschen Schulbuerokratie steht, fuer welche SchuelerInnen sie konzipiert ist, ob und wie sich die Schuelerschaft in den letzten Jahren veraendert hat und wie es zu einer Situation kommen konnte, die heute, acht Jahre nach Eroeffnung der Akademie, von deutscher Seite als katastrophal betrachtet wird. Die Kritiker selbst scheinen groesstenteils nur unklare und einander widersprechende Vorstellungen von der rechtlichen Situation und den sich daraus ergebenden Konsequenzen zu haben, was sie allerdings nicht daran hindert, Bewertungen abzugeben und Forderungen zu stellen.

Sollte es sich z.B. bei der Akademie um eine mit den deutschen Schulen in Riad und Jidda vergleichbare "Auslandsschule" handeln, gaebe es keinerlei rechtliche Grundlage dafuer, die Lehrplaene nach hiesigen Kriterien zu bewerten, einen auf Integration in die deutsche Gesellschaft abzielenden Unterricht zu fordern, Inspektionen durchzufuehren und in einer an Zensurmassnahmen erinnernden Weise auf saudische Schulbuecher Einfluss nehmen zu wollen. Was wuerde man wohl sagen, kaemen im Gegenzug saudische Behoerden auf die Idee, Lehrplaene der deutschen Auslandsschulen als viel zu wenige Religionsstunden enthaltend zu kritisieren und deutsche Religionsbuecher auf "unislamische Inhalte" zu durchforsten?

Sollte die Koenig-Fahd-Akademie dagegen von ihrem Rechtsstatus her der Aufsicht der deutschen Schulbuerokratie unterstehen, waere doch wohl zunaechst einmal dort nach Fehlern und Versaeumnissen zu fragen. Dass in der Akademie nach saudischen Lehrplaenen unterrichtet wird, ist seit ihrer Gruendung bekannt. Ihr daraus heute einen Strick drehen zu wollen, ist unredlich - ganz gleich, was man unter dem Aspekt der Integration in die deutsche Gesellschaft davon halten mag. Gleiches gilt fuer die geringe Zahl der im Lehrplan vorgesehenen Deutschstunden. Wie viele Stunden Arabisch moegen wohl auf dem Stundenplan deutscher Auslandsschulen in Saudi-Arabien und anderen islamischen Laendern stehen? Wenn die Akademie der deutschen Schulaufsicht untersteht, waere es deren Aufgabe gewesen, sich zumindest fuer diejenigen Kinder, die voraussichtlich auf Dauer in der BRD leben werden, um Unterrichtsinhalte und ausreichende Deutschstunden zu kuemmern. Dies betrifft, wie sich jetzt herausgestellt hat, etwa die Haelfte aller Schueler und Schuelerinnen, naemlich diejenigen mit deutscher Staatsbuergerschaft, die die Akademie mit einer Ausnahmegenehmigung besuchen, und darueber hinaus aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen Teil der nichtdeutschen Schueler. Die Frage nach den Voraussetzungen ihrer sozialen und kulturellen Integration ist daher mehr als berechtigt, insbesondere mit Blick auf ihre Qualifikation fuer den hiesigen Arbeitsmarkt.

Bis vor wenigen Wochen hat sich dafuer auf deutscher Seite offenbar niemand interessiert. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass man hier und da sogar recht froh war, wenn deutsche Regelschulen nicht durch diese allgemein als schwierig und anstrengend betrachteten Kinder belastet wurden. Es vermag jedenfalls nicht zu ueberzeugen, wenn Politik und Verwaltung den Entstehungsprozess der gegenwaertigen Situation so darzustellen versuchen, als habe man sich gegenueber den eine Ausnahmegenehmigung beantragenden Eltern besonders entgegenkommend und tolerant verhalten. Ebenso wenig kann wohl die Rede davon sein, dass es den Eltern und der Akademie gelungen sei, die Schulbehoerden und die politisch Verantwortlichen zu hintergehen oder durch "verbale Uebergriffe" und Drohungen zum Erteilen von Ausnahmegenehmigungen zu noetigen. Sollten sich durch die Medien verbreitete Geschichten tatsaechlich in der geschilderten Form zugetragen haben, verwundert es schon sehr, dass Behoerdenangestellte sich durch theatralische Auftritte haben einschuechtern lassen und die geforderten Dokumente ausstellten, statt den Wachdienst zur Hilfe zu rufen oder die Polizei einzuschalten. Wo sonst kommt man wohl durch Schreien, Toben und Drohen zu einer eigentlich rechtlich nicht zulaessigen Genehmigung oder Bescheinigung?

2. Fragen zur behaupteten Naehe der Koenig-Fahd-Akademie zu terroristischen Kreisen

Im Zentrum der ersten PANORAMA-Reportage stand die Behauptung, die Koenig-Fahd-Akademie ziehe "radikale Islamisten" mit vermuteten Kontakten zu Al-Qaida aus der ganzen Bundesrepublik an, was von den Sicherheitsbehoerden schon seit laengerer Zeit mit Sorge beobachtet werde. In der zweiten Sendung wurden daraus dann sogar enge Verbindungen zu Personen, die Sprengstoff-Attentate planten.

A Beginnen wir mit der Frage, wieviele arabisch-muslimische Familien tatsaechlich in letzter Zeit nach Bonn und Umgebung zugezogen sind und wie sich das auf die Schuelerschaft der Koenig-Fahd-Akademie ausgewirkt hat:

In den Medien findet man dazu nur wenige exakte Angaben: Nach Informationen des Bonner Sozialamts handelt es sich innerhalb eines nicht naeher definierten Zeitraumes um schaetzungsweise 180 bis 200 Familien mit insgesamt ca. 1000 Personen. Viele von ihnen sollen Sozialhilfe beantragt haben (vgl. Koelner Rundschau, 25.10.2003). Als Grund fuer diese Besorgnis erregende Entwicklung (wobei Vergleichszahlen fehlen) wird die Koenig-Fahd-Akademie vermutet. Im gleichen Zeitungsartikel wird allerdings auch ueber eine deutsche Eltern verschreckende hohe Zahl von Anmeldungen muslimischer Kinder auf der Gemeinschaftsgrundschule in Mehlem berichtet. Wie passt das zusammen?

Nach anderen Quellen sollen insgesamt 92 SchuelerInnen der Koenig-Fahd-Akademie aus ca. 44 Familien Sozialhilfeempfaenger sein (vgl. BGA, 30.10.2003), wovon einige mit Sicherheit schon seit laengerer Zeit in Bonn und Umgebung leben. Von den oben genannten 180 bis 200 neu zugezogenen Familien schicken folglich hoechstens zwanzig bis dreissig ihre Kinder auf die Koenig-Fahd-Akademie. Deshalb geben zumindest die oeffentlich bekannten Zahlen nichts her, um das Schreckgespenst eines massenhaften, durch die Koenig-Fahd-Akademie ausgeloesten oder verstaerkten Zuzugs "radikaler Islamisten" nach Bonn zu rechtfertigen.

B Noch weniger weiss man ueber die religioese und politische Orientierung sowie die Motive derer, die in den letzten Monaten und Jahren nach Bonn umgezogen sind. Die Koenig-Fahd-Akademie mag fuer manche ein Anziehungspunkt (unter anderen) gewesen sein, fuer viele aber auch nicht oder nur mit nachrangiger Bedeutung, denn warum wuerden sie sonst ihre Kinder auf eine normale deutsche Schule und nicht auf die Akademie schicken? Wir haben in den Medien und den Statements aus Politik und Verwaltung nicht den geringsten Anhaltspukt fuer eine durch die Koenig-Fahd-Akademie ausgeloeste Zuwanderung "radikaler Islamisten" finden koennen. Vielmehr handelt es sich hier offenbar um ein aus allen Einwanderungsgesellschaften bekanntes und in der Migrationsforschung seit langem dokumentiertes Phaenomen, naemlich die unter Einwanderern besonders in der ersten Generation und/oder unter schwierigen Lebensbedingungen und haeufigen Diskriminierungserfahrungen verbreitete Tendenz, sich in der gleichen Wohngegend niederzulassen. Ein vertrautes Umfeld mit Menschen, die die eigene Sprache sprechen, deren Lebensweise aehnlich ist, wo es bei Problemen oder in Notfaellen Rat und Hilfe gibt, wo es unter Umstaenden auch leichter ist, eine Arbeit zu finden oder sich selbstaendig zu machen etc. wird von namhaften MigrationsexpertInnen sogar als integrationsfoerdernd angesehen. Fuer Musliminnen und Muslime gehoert dazu eine Moschee oder ein Gebetsraum mit der entsprechenden Infrastruktur. Da dies alles im Bonner Sueden vorhanden ist, sollte seine Anziehungskraft fuer Migranten arabischer Herkunft nicht verwundern. Und kann es nicht einfach sein, dass manche arabische Eltern glauben, mit dem Umzug etwas Gutes fuer ihre Kinder zu tun? Aus diesen Ueberlegungen folgt jedenfalls, dass es zunaechst einmal einer gruendlichen, sozialwissenschaftlich fundierten Analyse bedarf, um ueber die gegenwaertig das oeffentliche Meinungsbid praegenden Spekulationen und Verdaechtigungen hinauszugelangen und den Diskussionsprozess in sachliche, konstruktive Bahnen zulenken.

Ein grosses Fragezeichen ist des weiteren hinter die Motive jener Eltern zu setzen, die ihre Kinder auf die Koenig-Fahd-Akademie schicken. Fuer manche, vor allem fuer Diplomaten oder Geschaeftsleute, die sich nur voruebergehend in der BRD aufhalten, stehen gewiss dieselben Gruende im Vordergrund, die auch deutsche Diplomaten, Geschaeftsleute u.ae. im Ausland dazu bewegen, ihre Kinder deutsche (europaeische, christliche) Schulen besuchen zu lassen, naemlich mit den heimatlichen Lehrplaenen kompatible Unterrichtsinhalte und Schulabschluesse, der Wunsch nach einer den eigenen Werten und Normen entsprechenden Erziehung usw. Fuer andere mag der Islam saudi-arabischer Praegung von ausschlaggebender Bedeutung sein. Noch andere sehen in der Koenig-Fahd-Akademie vor allem eine Alternative zu deutschen Schulen, auf die sie ihre Kinder aus Angst vor einer Entfremdung von der arabisch-musli-mischen Kultur und aehnlichen Erwaegungen nicht schicken moechten. Die prozentuale Gewichtung dieser - und womoeglich weiterer - Motive kennt gegenwaertig niemand, und sie spielen in der aktuellen Debatte auch gar keine Rolle, z.B. wenn es darum geht, Kindern die Genehmigung zum Besuch der Koenig-Fahd-Akademie zu entziehen und sie - wie Moebelstuecke - auf Regelschulen zu verteilen. Manche Aeusserungen von deutscher Seite erwecken sogar den Eindruck, dass man es kaum noch abwarten kann, es "denen" nun mal so richtig zu zeigen. Wir halten es dagegen fuer dringend geboten, sich vor allen weiteren Diskussionen ueber Umstrukturierungen des Lehrangebotes und der Schuelerschaft erst einmal mit den Hintergruenden und Motiven zu beschaeftigen und nach Moeglichkeiten zu suchen, dem Elternwillen und den Vorstellungen und Beduerfnissen der Schueler gerecht zu werden.

Wenn jetzt geplant wird, mit den Ausnahmegenehmigungen sehr viel restriktiver umzugehen und sie nur noch befristet zu erteilen sowie alle nach deutscher Auffassung zu Unrecht erteilten Ausnahmegenehmigungen rueckgaengig zu machen und die Schueler auf deutsche Regelschulen umzuverteilen, mag das die Schuelerzahl der Akademie in gewuenschter Weise reduzieren und homogenisieren, duerfte jedoch von vielen betroffenen Schuelern und Eltern als Akt der Willkuer und Feindseligkeit empfunden werden und die zugrundeliegende Integrationsproblematik eher verschaerfen als loesen. Mit ein paar zusaetzlichen Deutsch-Foerderstunden wird es nach unserer Ueberzeugung jedenfalls nicht getan sein. Es ist sogar zu befuerchten, dass auf diese Weise bei vielen erst die Distanz zur deutschen Gesellschaft und Radikalisierung ausgeloest werden, welche man seitens der Politik und Verwaltung glaubt durch "energisches Durchgreifen" verhindern oder bekaempfen zu koennen. Ebensowenig denkt man offensichtlich auf deutscher Seite ueber die fatalen Auswirkungen des eigenen Verhaltens auf die muslimische Community insgesamt nach, also selbst auf jene Musliminnen und Muslime, die ganz woanders wohnen, mit der Koenig-Fahd-Akademie persoenlich nichts zu tun haben, womoeglich selbst zu ihr in einem kritisch-distanzierten Verhaeltnis stehen oder sich im Denken und in der Lebensweise kaum noch am Islam orientieren.

Das gilt insbesondere auch fuer die Schliessung des Gebetsraumes in der Koenig-Fahd-Akademie fuer die Oeffentlichkeit. Sollten sich dort tatsaechlich regelmaessig radikale, mit dem Terrorismus sympathisierende Muslime versammeln, waere es doch wohl mehr als naiv, anzunehmen, dass sie ihre Gesinnung aendern, wenn man ihnen Hausverbot erteilt. Aus dem von PANORAMA und in allen anschliessenden Recherchen gesammelten "Beweismaterial" ergibt sich allerdings ohnehin nichts, was derartige Annahmen und darauf basierende drakonische Massnahmen rechtfertigen koennte. Wer die Verhaeltnisse im Umfeld der Akademie auch nur ein wenig kennt, sollte zudem wissen, dass "ganz normale" Muslime, nicht zuletzt auch Studenten, Akademiker und Geschaeftsleute, sie gerne zum Freitagsgebet oder an islamischen Feiertagen aufsuchen, weil es ansonsten in ganz Bonn und Umgebung keinen einzigen aesthetisch ansprechenden Gebetsraum gibt. Wird man ihnen von deutscher Seite gegebenenfalls wenigstens eine Alternative anbieten? Oder ist man der Meinung, fuer Muslime sind die ueblichen "Hinterhof-Moscheen" gerade gut genug?

C Die behauptete "Wanderungsbewegung" von Islamisten mit Kontakten zu Terror-Orga-nisationen in die Bonner Region laesst sich angeblich mit Erkenntnissen deutscher Sicherheitsorgane belegen. Soweit diese oeffentlich zugaenglich sind, ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Tatsaechlich scheinen einige wenige in Bonn und Umgebung lebende Personen in diesem Zusammenhang vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden, wobei nach Auskunft der Bonner Polizei jedoch keine Belege fuer direkte Verbindungen zur Koenig-Fahd-Akademie existieren. Im wesentlichen handelt es sich bei diesen Anschuldigungen vielmehr um nach dem Muster "jemand kennt jemand, der jemand kennt" konstruierte Beziehungen, was fuer Sicherheitsbehoerden interessant sein mag, aber doch wohl nicht als Beweismaterial fuer die schweren gegen die Koenig-Fahd-Akademie erhobenen Vorwuerfe ausreicht. Auch waere in diesem Kontext endlich einmal zu fragen, wie generell Kontakte zu Personen oder Organisationen zu bewerten sind, die ohne konkrete Anhaltspunkte fuer Verstoesse gegen Recht und Gesetz vom Verfassungsschutz observiert werden. Macht sich eine Moschee- oder Kirchengemeinde verdaechtig, wenn sie solche Personen am Freitagsgebet bzw. Sonntagsgottesdienst teilnehmen laesst? Sind deren Kinder von der Schule - auch von der deutschen Regelschule - zu verweisen, wenn diese nicht selbst ins Visier der Sicherheitsbehoerden geraten will? Und wie soll sich eine Schule oder Religionsgemeinschaft ueberhaupt entsprechende Kenntnisse verschaffen? Gesichts- und Gesinnungskontrollen, wie sie jetzt offenbar von der Koenig-Fahd-Akademie - und prinzipiell von allen islamischen Vereinigungen und Institutionen - erwartet werden, widersprechen den Grundwerten einer demokratischen, freiheitlichen Gesellschaft. Wenigstens darueber sollte man sich auf deutscher Seite im Klaren sein.

Soweit die Erkenntnisse deutscher Sicherheitsbehoerden oeffentlich zugaenglich sind, eignen sie sich nicht im entferntesten als Beweismaterial der oeffentlich kursierenden Behauptungen ueber die Koenig-Fahd-Akademie als "islamistische Kaderschmiede" mit Kontakten zu El Qaida und Bin Laden. Dass dennoch unbeirrt daran festgehalten wird und beispielsweise auch jetzt noch von einem "islamistischen Sumpf" die Rede ist, den es endlich auszutrocknen gilt, ist vor allem der Medienberichterstattung zu verdanken. Der von PANORAMA vorgegebene Stil wurde von den Printmedien weitgehend uebernommen und praegt den politischen Diskurs, kritische Nachfragen und Ueberlegungen muss man dagegen mit der Lupe suchen. Diese "Einheitsfront" von Politik, Verwaltung und Medien ist sehr ungewoehnlich, wenn auch nicht einmalig. Wem aufrichtig an einer konstruktiven, an integrativen und dialogischen Prinzipien orientierten Konfliktloesung gelegen ist, muesste sich daher auch mit der Rolle der Medien in diesem Konflikt auseinandersetzen.

3. Fragen zum Vorwurf "islamistischer" Indoktrination - was heisst "Heiliger Krieg"?

PANORAMA schockierte die Fernsehzuschauer am 2. Oktober mit der Behauptung, im Gebetsraum der Koenig-Fahd-Akademie werde zur Verbreitung des Islam mit Waffengewalt aufgefordert. Als Beweismaterial diente der heimliche Mitschnitt der in arabischer Sprache gehaltenen Predigt eines - inzwischen entlassenen - Lehrers im Rahmen des Freitagsgebets. Zwei, drei Saetze von angeblich entscheidender Aussagekraft wurden ins Deutsche uebersetzt, doch in voller Laenge ist sie bis heute weder in deutscher noch in arabischer Sprache veroeffentlicht worden. Offenbar sind weder die den Skandal vorantreibenden Medien noch die angegriffene Akademie an einer umfassenden Information der Oeffentlichkeit interessiert.

Der beschuldigte Lehrer bestreitet nachdruecklich, in irgendeiner Weise zu Gewalthandlungen oder Terrorakten aufgerufen zu haben. Er habe vielmehr die Eltern dazu aufgefordert, ihre erzieherischen Aufgaben wahrzunehmen, wozu nach islamischer Lehre auch die sportliche Ertuechtigung gehoert. Die wenigen durch die PANORAMA-Sendung bekannt gewordenen Saetze sprechen fuer diese Darstellung. Sportliche Betaetigung hat in der islamischen Erziehung einen hohen Stellenwert; die Benennung von Speerwerfen, Schwimmen und Reiten verweist auf einen in diesem Kontext oft zitierten Ausspruch (Hadith) des Propheten Mohamed. Er findet sich seit Jahrhunderten in unzaehligen islamischen Schriften, ohne dass jemand auf die Idee gekommen waere, daraus eine Anleitung zur Terroristenausbildung abzuleiten. Die von PANORAMA mit Experten-Autoritaet vorgenommene Interpretation entspricht daher keineswegs der "herrschenden islamischen Lehre", sondern allenfalls derjenigen extremistischer Aussenseiter. Daran aendert auch die assoziative Verbindung mit einem Aufruf zum "Heiligen Krieg" nichts, denn, denn unter muslimischen Gelehrten wie unter nichtmuslimischen IslamwissenschaftlerInnen herrscht heute weitgehend Konsens darueber, dass der Begriff "Jihad" nicht ohne weiteres mit "Heiliger Krieg" uebersetzt werden darf, sondern vielmehr in erster Linie als "Anstrengung" oder "Bemuehung" zu verstehen ist, die Werte und Gebote des Islam zu verwirklichen. Gewalt darf dabei allenfalls in seltenen Extremfaellen angewendet werden; Angriffs- oder Eroberungskriege und Terrorismus sind dadurch keinesfalls legitimiert. Wir halten es daher zur Versachlichung der Diskussion fuer unbedingt erforderlich, endlich den gesamten Predigttext zu veroeffentlichen und von mehreren ExpertInnen kommentieren zu lassen.

Wie kann und soll es weitergehen?

Wir weisen mit diesem Statement auf eine Reihe offener Fragen und diskussionsbeduerftiger Themen hin. Folgendes kann allerdings bereits heute gesagt werden: Es gibt unter muslimischen Eltern einen starken Wunsch, die eigenen Kinder so zu erziehen, dass sie integrierte, erfolgreiche Mitglieder der hiesigen Gesellschaft werden, ohne deshalb ihre religioese Bindung und ihre Identitaet als Muslime aufzugeben (aufgeben zu muessen). Das deutsche Schulsystem traegt diesem Wunsch bestenfalls in minimalen Ansaetzen Rechnung. Schon der Gedanke an eine Schulausbildung im islamischen Rahmen (vergleichbar den christlichen konfessionellen Schulen) erscheint Deutschen so abwegig, dass er gar nicht erst diskutiert wird, von Realisierungsschancen ganz zu schweigen. Generell geht man statt dessen davon aus, dass es zum Wohle muslimischer Kinder ist, sie dem Einfluss der Eltern, des Herkunftsmilieus und der Moscheen zu entziehen.

Damit wollen wir keineswegs bestreiten, dass Sprach- und Bildungsdefizite in der hiesigen muslimischen Community, aus patriarchalen Gesellschaften mitgebrachte Traditionen und reaktionaere Islam-Auslegungen in Westeuropa zum Entstehen eines negativen Islambildes mit den entsprechenden Konsequenzen beigetragen haben. Dennoch darf daraus unseres Erachtens keine Legitimationsgrundlage abgleitet werden, den Willen religioes orientierter muslimischer Eltern als belanglos abzutun oder sogar als per se schaedlich und gefaehrlich zurueckzuweisen. Wie soll bei einer Bevoelkerungsgruppe, die zu einem erheblichen Teil aus Laendern stammt, wo politische Partizipation, demokratische Spielregeln und Buergerrechte weitgehend unbekannt sind, fuer diese Werte und Verhaltensweisen Begeisterung geweckt werden, wenn man sie wieder und wieder bevormundet, wichtige Entscheidungen ueber ihre Koepfe hinweg trifft und sie obrigkeitsstaatlich zu reglementieren versucht? So halten wir es fuer ausserordentlich bedauerlich, dass der Bonner Elterninitiative von Seiten der in Politik und Verwaltung zustaendigen Personen und insbesondere durch die Medien direkt eine schroffe Abfuhr erteilt wurde, statt die sich daraus ergebenden Kommunikationschancen auszuloten. Wir hoffen sehr, dass man mit dem nun geplanten "deutsch-arabischen Komitee" und der "arabisch-deutschen paedagogischen Konferenz" nicht ebenso verfahren wird.

Der aktuelle Konflikt um die Koenig-Fahd-Akademie koennte eine laengst ueberfaellige Diskussion um die Integration muslimischer Kinder in das hiesige Bildungssystem in Gang bringen, und zwar eine Integration mit Respekt vor dem Islam als einer achtenswerten und gleichberechtigten Glaubens-, Werte- und Lebensorientierung in der hiesigen pluralistischen Gesellschaft. Fuer die grosse Mehrheit muslimischer Schueler und Schuelerinnen wuerde sich diese Integration weiterhin in der deutschen Regelschule vollziehen. Daneben koennte in der Koenig-Fahd-Akademie bzw. in einem Zweig der Akademie oder auch unabhaengig von ihr eine integrationsorientierte islamische Modellschule entstehen, wo neben dem Unterricht neue paedagogische Konzepte entwickelt, Diskussionen ueber islamische und westliche Erziehungsziele gefuehrt und interkulturelle Kompetenz vermittelt werden.

In den letzten Wochen wurde von deutscher Seite immer wieder Enttaeuschung darueber geaeussert, dass sich die Koenig-Fahd-Akademie nicht, wie urspruenglich erhofft, zu einer Staette des Dialogs und des interkulturellen Austausches entwickelt hat. Das ist in der Tat bedauerlich, und man sollte analysieren, warum es so gekommen ist. Warum hat man der Akademie - die diese Enttaeuschung nicht zu teilen scheint, sondern im Gegenteil meint, durch Fuehrungen fuer Schulklassen usw. genuegend Offenheit zu zeigen und durchaus zum interreligioesen Dialog beizutragen - keine konkreteren Angebote oder Vorschlaege gemacht? Offensichtlich unterscheiden sich die Vorstellungen und Erwartungen beider Seiten erheblich. Aber warum wurden keine Fragen gestellt, keine Konfliktpunkte angesprochen? Die bisher in den Medien ebenso wie in Politik und Verwaltung gepflegte Kulturkampf-Rhetorik duerfte allerdings nicht geeignet sein, die Versaeumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten und Veraenderungen einzuleiten.

Auch fuer die muslimische Seite sollte dieser Konflikt Anlass zur Selbstreflexion und zu verstaerkten Bemuehungen um demokratische Partizipation in einer multireligioesen Gesellschaft sein. Das umfasst Kenntnisse der deutschen Sprache ebenso wie ein aufrichtiges Interesse an Politik und Kultur, die Bereitschaft, sich mit den hiesigen Spielregeln vertraut zu machen und die Offenheit fuer Diskussionen und Kritik. In alledem hat sich die Koenig-Fahd-Akdemie bisher nicht hervorgetan (uebrigens auch nicht im Verhaeltnis zur gesamten muslimischen Community, was eine Erklaerung fuer deren beredtes Schweigen zu den aktuellen Konflikten sein duerfte).

Ungeachtet der bisherigen verfahrenen Debatte, aller Vorwuerfe und Vorbehalte, liegen in der gegenwaertigen Situation Moeglichkeiten zu einer konstruktiven Loesung der Konflikte, zu deren Gelingen wir gerne beitragen wuerden. Voraussetzung waere ein Dialog "auf gleicher Augenhoehe" und die Entwicklung von Konzepten zu einer Neubestimmung der Integration von MuslimInnen in die hiesige Gesellschaft. Wir hoffen, dass diese Chancen von allen Beteiligten erkannt und als Herausforderung begriffen werden.



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1424 / 2003