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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


Zeitschrift fuer Islam und Sufitum. Sufi Nr. 2/85. Seiten 87 bis 92

Dr. Khalid Duran

Der »Gandhi des Sudan«

Nachwort auf Al-Ustadh Mahmud Muhammad Taha (1985)


Mahmud Muhammad Taha der aus politischen Gruenden am 18. Januar des Jahres in Khartum (Sudan) gehaengt wurde, war eine ethische Erscheinung, die Dr. Arnold Hottinger von der Neuen Zuercher Zeitung mit dem ebenfalls als >Ketzer< gehaengten Mystiker Mansur (al-)Hallag, dem »Maertyrer der Gottesliebe« verglich. Taha wurde im Kreis seiner weltweiten Freunde »Der Gandhi des Sudan« genannt.

Waehrend seines dreijaehrigen Gefaengnisaufenthaltes aus politischen Gruenden, war er auf Muhammad Ghazzalis Werk »Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften« gestossen, das von nun an sein ethisches Handeln bestimmte. Nach seiner Gefaengniszeit vollendete Taha seine bis dato unfreiwillige Retraite um eine zweijaehrige freiwilligt Retraite (im Sinne eines sufischen Khulwat), In welcher er seine reformerischen - auf Koran und Sunna (Lebensbrauch des Propheten Muhammad) gruendende - und an der Sufik orientierte Ethik verfasste.

Am Freitag, dem 18.Januar 1985, wurde auf einem Vorplatz des beruechtigten Kobar-Gefaengnisses von Khartum vor etwa dreitausend Zuschauern ein religioeser Fuehrer aufgehaengt, der bereits zu Lebzeiten den Ruf eines Heiligen genoss und vielen Sudanesen als der groesste Denker gilt, den ihr Land hervorgebracht hat. Obwohl die sudanesische Verfassung ausdruecklich vorsieht, dass die Todesstrafe nicht an Personen vollzogen werden darf, die das 70. Lebensjahr erreicht haben, wurde der 76jaehrige Mahmud Muhammad Taha trotz zahlreicher Proteste aus aller Welt wie ein Krimineller hingerichtet. Seine Leiche wurde sofort in einem Militaerhubschrauber an einen unbekannten Ort fortgeschafft.

Die Furcht des Regimes vor dem beliebten Prediger war nicht unbegruendet; denn seit jenem Tag liess sich der Widerstand der Volksmassen nicht mehr brechen bis es im Maerz zum allgemeinen Aufstand kam und der Diktator Numairi am 6. April 85 schliesslich gestuerzt wurde. Mahmud Taha bestaetigte mit seinem Opfergang das bekannte Hadith: )Der beste Dschiihad* (»Heiliger Krieg«, Anstrengung auf dem Wege Gottes), ist, einem tyrannischen Herrscher die Wahrheit ins Gesicht zu sagen.«

Bereits Anfang 1983 hatte Mahmud Taha gegen die Umtriebe eines aegyptischen Fanatikers protestiert, der im Sudan Unfrieden zwischen Muslimen und Christen sowie unter Muslimen selbst stiftete. Daraufhin wurde er mit fuenfzig seiner Mitarbeiter, darunter auch vier Frauen, inhaftiert. Im Dezember 1984 wurde er freigelassen. Nun begann er jedoch, gegen die tyrannischen »September-Gesetze« zu predigen. Damit ist jene neue Strafgesetzgebung gemeint, die vom Diktatorengespann Numairi -Turabi im September 1983 eingefuehrt wurde, angeblich als »islamisches Gesetz«, obwohl die grosse Mehrheit der Rechtsgelehrten darin uebereinstimmt, dass es sich hierbei nicht um die shari'a (Das islamische Gesetz) handelt, sondern um eine Pervertierung islamischer Rechtsprechung. Zu Zeiten einer Hungersnot, wie sie im Sudan seit 1983 herrscht, ist es Suende, einem >Dieb< die Hand abzuschlagen. Die fuer die Hungersnot verantwortlichen Spitzen des Regimes bereicherten sich noch bis zum letzten Tag ihrer Herrschaft, aber wirklich Notleidenden wurden Haende und Fuesse abgehackt - in Schnellverfahren. Inzwischen ist nachgewiesen worden, dass einige der Verstuemmelten gar keinen Diebstahl begangen hatten. Die Strafen dienten ohnehin mehr zur Einschuechterung politischer Dissidenten.

Mahmud Tahas Vergehen bestand darin, dass er die moralische Staerke hatte, laut zu sagen, was die Masse der Sudanesen dachte. Er verurteilte die »September-Gesetze« als eine Entstellung der shari'a und eine Beleidigung fuer das sudanesische Volk. Ausserdem forderte er die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen im Sueden und eine friedliche Beilegung des Buergerkriegs zwischen Muslimen und Christen. Darauf hin klagte man ihn des Aufruhrs, der Ketzerei und des Abfalls vom Glauben an. Mahmud Taha sprach dem als korrupt bekannten' Richter Al-Mikashfi die Kompetenz ab und verweigerte jede Verteidigung. Man gab ihm drei Tage Bedenkzeit und fuehrte ihn dann zum Galgen. Waehrend des Volksaufstandes Anfang April wurde das Kobar-Gefaengnis gestuermt, und es fand sozusagen eine »Galgenbesetzung« statt. Fuer die Sudanesen ist dieser Ort zu einer nationalen Gedenkstaette geworden, zu einem Mahnmal der Tyrannei und des islamischen Widerstands dagegen. Al-Mikashfi sitzt jetzt dort ein, zusammen mit dem Chef des inzwischen aufgeloesten »Staatssicherheitsdienstes«, General 'Umar EI Tayeb, der fuer die grausame Unterdrueckung der islamischen Bewegung im Sudan verantwortlich war.

Das Martyrium Mahmud Tahas hat die arabische und islamische Welt bewegt wie kaum ein anderes Ereignis der letzten Jahre. Die Folgen sind weitreichend, vor allem ist damit der Widerstand im Kampf fuer die Menschenrechte ungemein erstarkt. In mehreren Staaten legten zahlreiche Persoenlichkeiten des oeffentlichen Lebens ihre Aemter nieder aus Protest gegen die barbarische Hinrichtung in Khartum und den Missbrauch islamischer Nomenklatur zur Unterdrueckung der wirklich religioesen Kaefte Der renommierte Journalist Ahmad Baha'ud-Din schrieb einen gluehenden Nachruf auf Mahmud Taha, konnte ihn aber bei der fuehrenden aegyptischen Tageszeitung Al-Ahram nicht loswerden. Daraufhin veroeffentlichte er ihn im Oppositionsblatt Al-Ahali - und prompt verlor Al-Ahram Tausende von Abonnenten an Al-Ahali. In vielen Cafes wurde der Nachruf fuer die baeuerliche Bevoelkerung laut verlesen, und ueberall in Kairo brachen erschuetterte Glaeubige in Traenen aus. Die Schreckenstaat hat ein neues Bewusstsein geschaffen. In Zukunft wird es in den arabischen Laendern schwerer sein, mit religioesen Parolen Menschenfang zu treiben. Das Beispiel des Diktatorengespanns Numairi - Turabi im Sudan hat die Muslime gelehrt, gegenueber religioesen Fuehrungsanspruechen vorsichtig zu sein und die Worte an den Taten zu messen.

Der bekannte Arabist und Islamwissenschaftler Dr. Arnold Hottinger, als Korrespondent fuer die Neue Zuercher Zeitung taetig, verglich in seinem Nachruf Mahmud Taha mit dem beruehmten Mystiker Al-Hallag, der im Jahre 922 in Baghdad gleichfalls als "Ketzer" gehaengt wurde. AI-Halladsch wird seitdem von Millionen Menschen in zahlreichen islamischen Laendern als einer der grossen Heiligen verehrt. Man nennt ihn shahid al-'ishq al-ahali, den »Maertyrer der Gottesliebe«.

Mahmud Muhammad Taha wird allgemein Al-Ustadh Mahmud genannt, der »Lehrer« oder »Meister« Mahmud. Er war von Beruf Ingenieur und haette es dadurch mit Leichtigkeit zu Wohlstand bringen koennen. In seiner Jugendzeit hatte der Sudan kaum eigene Ingenieure, die noch dazu auf Bewaesserungstechniken spezialisiert waren. Er war der erste sudanesische Nationalist, der von der englischen Kolonialmacht wegen »Aufruhr« ins Gefaengnis gesteckt wurde. Dabei ist es seinem unerschuetterlichen Glauben an Gewaltlosigkeit zu verdanken, dass Englaendern und Sudanesen ein Blutvergiessen erspart blieb. Ustadh Mahmud war damals Vorsitzender der kleinen »Republikanischen Partei« die danach strebte, die Zersplitterung der sudanesischen Muslime in sich einander befehdende Sekten zu ueberwinden. Die ta'ifiyya das »Sektenwesen«, lastet seit langem wie ein Fluch ueber dem Land. Sie ist auch einer der Hauptgruende fuer wiederholtes Scheitern der Demokratie und die Uebernahme der Macht durch die Militaers.

Nach der Entlassung aus zweijaehriger Haft zog sich Ustadh Mahmud 1948 fuer weitere zwei Jahre ganz aus dem oeffentlichen Leben zurueck und gab sich ausschliesslich dem Gebet und dem Studium des Qur'an hin. Er gehoerte keiner speziellen tariqah an, war aber zutiefst belesen in der Sufi-Literatur und verehrte alle grossen Meister der muslimischen Mystiker. Diese Liebe fuer die Heiligen nicht nur des Sudan, sondern auch der uebrigen islamischen Welt vermittelte er an seine wachsende Schar von Juengern. Sie sind gemeinhin als »Republikanische Brueder« (al-ikhwan al-djumhuriyun) bekannt, in Anlehnung an die »Republikanische Partei« von damals und auch wegen ihres Glaubens, dass der Islam die Demokratie fordere, so wie dem Propheten Muhammad (s) von Gott gesagt wurde: »Du sollst ihnen nichts diktieren!« Darueber hinaus aber nennen sich die Juenger Ustadh Mahmuds auch die »Neue Islamische Mission« und bezeichnen ihre Richtung als »reformiertes Sufitum«.

Die »Republikanischen Brueder und Schwestern« wurden in der Oeffentlichkeit hauptsaechlich durch ihr inzwischen beruehmt gewordenes dhikr bekannt, dass sie an mehreren Tagen der Woche auf der Strasse vor dem Haus des Ustadh Mahmud in Omdurman abhalten. Ausserdem singen sie religioese Hymnen (anashid), die von ihnen selbst verfasst und vertont worden sind . Diese Hymnen sind eine Neuheit in dem Sinne, dass sie von Studenten moderner Universitaeten verfasst und gesungen werden, sowie dadurch, dass sie Melodien und Elemente aus afrikanischer und europaeischen Liedern mit aufnehmen. Insgesamt gesehen stehen sie jedoch fest in der Tradition der sudanesischen Sufis, sind also nicht etwas »Fremdes«. Im Mittelpunkt steht die Anrufung des Namen Gottes, Allah.«

Die sudanesischen »Republikaner« halten sich streng an die vorgeschriebenen rituellen Gebete sowie die uebrigen Glaubenspflichten wie das Fasten. Dies zu betonen ist wichtig angesichts vieler Verleumdungen, die man bis heute zu hoeren bekommt. Ustadh Mahmud lebte vegetarisch, machte das seinen Juengern jedoch nicht zur Pflicht. Die unverheirateten »Republikaner« leben in der Regel in Wohngemeinschaften, um sich bei der Erfuellung der Glaubenspflichten gegenseitig zu unterstuetzen. Getreu dem Beispiel des Ustadh Mahmud wird besonders das tahadschud-Gebet im letzten Drittel der Nacht gepflegt.

Die »Republikaner« haben eine Art intellektueller Speerspitze an der Universitaet von Khartum gerade unter den brillantesten Akademikern des Landes. Darin liegt jedoch nicht das wichtigste Kriterium fuer verdienstvolle Leistung innerhalb der »Neuen Islamischen Mission«, sondern da steht Froemmigkeit an erster Stelle Das ist von Ustadh Mahmud in Briefen aus dem Gefaengnis an seinen »Adoptivsohn« 'Awad al-Karim Musa noch einmal mit allem Nachdruck betont worden.

Ustadh Mahmud wirkte als ein Sozialreformer z. B. dadurch, dass er das Hochzeitszeremoniell vereinfachte bzw. in Einklang mit der shari'a brachte. In zahlreichen islamischen Laendern wird staendig darueber gestoehnt, dass die jungen Leute wegen der extrem aufwendigen Hochzeitsprozedur nicht heiraten koennten, es sei denn, sie buerdeten sich Schulden auf, die sie selbst in zehn Jahren noch nicht zurueckzahlen koennen. Darueber gibt es endlose Diskussionen, sei es in Algerien oder im Irak. In Pakistan sind sogar staatlicherseits Bestimmungen erlassen worden, wonach die Zahl der Gaeste maximal 300 und der Wert einzelner Geschenke eine festgesetzte Summe nicht ueberschreiten darf etc. Zeitschriften und Fernsehfilme nehmen sich diese Auswuechse immer wieder zum Thema als eines der wichtigsten Gesellschaftsprobleme. Die Rechtsgelehrten und Prediger in den Moscheen appellieren regelmaessig an die Glaeubigen, die islamische Norm der Bescheidenheit zu beachten, aber das scheint alles nichts zu fruchten. Ustadh Mahmud dagegen setzte unter seiner Anhaengerschar durch, dass Hochzeiten ohne jeden Aufwand stattfinden, getreu dem Beispiel des Propheten.

Das war kennzeichnend fuer vieles an ihm; denn nicht die Ideen waren kontrovers, sondern die Umsetzung von vielerseits erhobenen Forderungen nach gesellschaftlichen Verbesserungen in der Praxis. Ustadh Mahmuds Vorstellungen von einer Weiterentwicklung der shari'a waren weniger revolutionaer als etwa die des hochverehrten und vielgefeierten Dichters und Denkers Muhammad lqbal in Pakistan, dessen wichtigstes Prosawerk ueber Die Wiederherstellung religioesen Denkens im Islam allerdings viel zuwenig gelesen wird. Nun war zwar Iqbal ein philosophischer Mystiker, jedoch kein Sufi-Meister mit einer Anhaengerschaft in Form einer Reformbewegung. Ustadh Mahmud erregte Aergernis, weil er Reformdenken in die Praxis umsetzte. Ihm ging es nicht darum, mit gelehrten Vortraegen, den Applaus eines Publikums zu erheischen, das den Gedankenfluegen vielleicht gar nicht folgen konnte. Er stand ganz in der Tradition von Sufi-Warnern wie Abu Dharr al-Ghiffari und Sefyan ath-Thauri, die mit praktischem Beispiel vorangingen.

Gerade dieser Punkt ist von ihm in einer Art von Testament noch einmal betont worden: Die Rolle eines Sufi-Shaikhs sei nicht die eines Militaerstrategen fern der Front im Kommando-Bunker des Generalstabs. Der Sufi-Shaikh sei vielmehr wie der Unteroffizier, der seine Truppe in die Schlacht fuehrt und dabei als erster getroffen wird. Er zieht das Feindfeuer auf sich, damit der Truppe der Durchbruch gelingt.

Man hat deswegen Ustadh Mahmud bisweilen verspottet und ihm nachgesagt, er halte sich fuer einen sudanesischen Christus. Es steht ausser Zweifel, dass er, wie alle Sufis, eine ganz besondere Verehrung fuer Jesus hegte. Im Gegensatz zu den zahllosen selbsternannten Messiassen, die waehrend der langen Geschichte des Islam aufgetreten sind, erhob Ustadh Mahmud keinerlei derartige Ansprueche. Fuer ihn war es allein eine Frage des Nachlebens. Seiner Auffassung nach wird ein solches Ideal nicht erreicht, indem man Anspruch darauf erhebt oder vorgibt, es erlangt zu haben, sondern indem man sich ihm praktisch annaehert. Daher erlangte der Begriff der sunna eine solch zentrale Bedeutung in seiner Lehre, also die imitatio prophetae. Was wir heute brauchen, pflegte er zu sagen, ist eine Rueckkehr nicht zur shari'a sondern zur sunna. Er versuchte immer wieder klarzulegen, dass der Prophet (s) uns eine hoehere Ethik vorgelebt hat als in der shari'a festgehalten. In der shari'a finden sich zu viele Zugestaendnisse an die Beduinen des 7. Jahrhunderts - und denen wird im Qur'an vorgehalten, dass sie noch weit entfernt vom Glauben seien. Die Araber zur Zeit Muhammads (s) waren allenfalls Muslime im primaeren Sinne des Wortes, insofern als sie sich der Fuehrung des Propheten unterworfen hatten, nicht Muslime in der zweiten und hoeheren Bedeutung des Wortes, also nicht friedvoll in Gott Ergebene.

Diese Lehren, obwohl durch den Qur‘an allzu einfach belegbar, sind vielfach missgedeutet worden. Man hat Ustadh Mahmud bisweilen vorgeworfen, er wolle einen »neuen Islam« verkuenden mit sich selbst im Mittelpunkt. Er hat das in mehreren Schriften ausfuehrlich zurueckgewiesen. Dennoch behauptete der Diktator Numairi in einer Fernsehansprache vor der Hinrichtung, Mahmud Taha halte sich fuer Gott selbst. Angesichts seines Hauptwerkes, Die zweite Botschaft des Islam, haben andere ihm vorgehalten, er betrachte sich selbst als den »Gesandten« (rasul) der zweiten Botschaft (risala). Vielleicht hatte Ustadh Mahmud solche Unterstellungen vorausgesehen, jedenfalls schrieb er gegen Ende seines Hauptwerkes ausdruecklich: "Muhammad (s) ist der Botschafter (rasul) der ersten Botschaft, und Muhammad ist auch der Botschafter (rasul) der zweiten Botschaft."

Nicht genug damit, auf der grundlosen Anschuldigung, das Amt eines rasul fuer sich zu beanspruchen, baut eine tragikomische Widerlegung des Ustadh auf. AI-Amin Da'ud, Dozent an der Islamischen Universitaet von Omdurman, fuehrt aus, dass Mahmud Taha aus drei Gruenden gar kein rasul sein konnte. Er war naemlich: 1) von kleinem Wuchs; 2) von schwarzer Hautfarbe; 3) durch Stammesnarben entstellt. Alle drei Faktoren liessen einen Menschen haesslich erscheinen und disqualifizierten ihn damit fuer die Aufgabe eines Ueberbringers der goettlichen Botschaft.

Von einem aehnlich unislamischen Geist getragen sind auch die uebrigen gegen den Ustadh verfassten Polemiken - und mit einer solch phantasievollen Streitschrift hat ein Theologe an der Universitaet von Mekka sogar promovieren koennen. Mahmud Tahas Auffassungen werden darin als die gefaehrlichste Irrlehre aller Zeiten bezeichnet.

Was war so kontrovers an ihm? Worin bestand die grosse Provokation? Wahrscheinlich war es in erster Linie seine Bescheidenheit, die herausforderte. Das, was ihm sowohl beim einfachen Volk als auch bei vielen Intellektuellen so ueber alle Massen beliebt machte, gab dem Establishment Raetsel auf. Der Ustadh war an keinen Machtapparat angebunden, er folgte keiner Mode und suchte kein Prestige auf die uebliche Weise. Nicht umsonst erinnert man sich an ihn als den »afrikanischen Gandhi« ein kleiner schwarzer Mann, stets in ein einfaches weisses Baumwolltuch gehuellt, in einer Lehmbude an einer ungepflasterten Strasse in der »Eingeborenenstadt«; einer, der unter einem Haufen Juenger auf dem Boden kauernd aus einem grossen Gemeinschaftsteller das Durchschnittsessen der aermsten Sudanesen ass; ein Asket, der nicht rauchte und keinen Kaffee trank; der stets fuer jedermann erreichbar war, der sich weder mit Privatsekretaeren noch mit Leibwaechtern umgab trotz mancher Morddrohung gegen ihn.

Mahmud Taha sah in der »Almosensteuern (zakat) das ethische Prinzip der "Laeuterung," als das es im Qur'an stets in Zusammenhang mit dem Gebet (salat) aufgefuehrt wird. In der zakat dhata l-maqadir, der Abgabe wie sie in der traditionellen shari'a festgelegt ist, sah er jedoch das ueberholte Prinzip einer kapitalistischen Gesellschaft. Statt dessen forderte er den Uebergang zu dem ebenfalls im Qur‘an gegebenen, aber weiterreichenden Prinzip des 'afu, d.h. der Abgabe all dessen, was nicht unbedingt lebensnotwendig ist, getreu der sunna des Propheten. Waehrend einer Gerichtsverhandlung gegen seine Juenger in Aegypten wurde deshalb der Vorwurf erhoben, sie seien verkappte Kommunisten. Wer jedoch mit Sufi-Traditionen auch nur ein klein wenig vertraut ist, wird hier nichts Aussergewoehnliches finden. Der Ustadh hat den Begriff des faqr, der Beduerfnislosigkeit vor Gott, wie er fuer den Sufi unerlaesslich ist, aus der Verinnerlichung heraus sozusagen ans Tageslicht gefuehrt und ihm noch dazu die Dimension sozialer Reform gegeben. Welche Sozialreform in der Geschichte des Islam ist nicht von einem aehnlichen Sufi-Motiv ausgegangen?

Eine Provokation war vielen sicher auch sein Eintreten fuer die nicht-muslimischen Buerger des Sudan. Der Konflikt zwischen dem arabisch-muslimischen Nordsudan und dem schwarzafrikanischen Suedsudan, dessen ueberwiegend animistische Bevoelkerung von einer christianisierten Bildungsschicht gefuehrt wird, ist sicher ein Erbe der Kolonialpolitik nach dem Motto: »teile und herrsche«. Er geht aber auch auf eine eindeutig unislamische Haltung des arabisierten Nordens zurueck, der dem Sueden mit einem Rassenduenkel begegnete und ihn in frueheren Zeiten auch zu versklaven versuchte. Ustadh Mahmud weigerte sich, die allzu einfache Gleichsetzung von christlichem Glauben und britischer Kolonialherrschaft beizubehalten. Der Qur‘an, so meinte er, lehre einen radikalen Humanismus. In der traditionellen shari'a finden sich zwar Bestimmungen, die nach Geschlecht oder Religionszugehoerigkeit diskriminieren, doch seien dies zeitbedingte Vorschriften, nicht zu verwechseln mit den zeitlosen ethischen Normen, wie sie dem Propheten (s) in Mekka offenbart wurden. Ferner stuende das Ideal des Islam in seiner zweiten und tieferen Bedeutung, naemlich der Hingabe an Gott, ueber allen Glaubensgemeinschaften gleichermassen. Die heutigen Muslime seien davon nicht weniger weit entfernt als die Juden oder Hindus, Christen oder Buddhisten. Wir all beduerfen gleichermassen der Umkehr, niemand ist dem anderen voraus.

Meine Begegnung mit Ustadh Mahmud fand im Dezember 1978 statt. Mein erster abendlicher Bummel durch Khartum fuehrte mich zu einem Buchladen, in dem ich auch gleich auf ein Buechlein stiess, in dem der Autor ganz fuerchterlich auf einen gewissen Mahmud Muhammad Taha schimpfte. Man konnte den Verfasser vor lauter Gift geradezu schaeumen sehen. Mir war sogleich klar, dass dieser Mahmud Muhammad Taha ein aussergewoehnlicher Denker sein musste, ein sehr kluger und ehrlicher Mann, offensichtlich sehr belesen und von einer bemerkenswerten Originalitaet.

Ich stiess dann noch auf ein zweites Buechlein gleicher Art. Wieder war es hoechst peinlich, wie der Verfasser, der eine Widerlegung Mahmud Tahas versuchte, seine eigene Ignoranz zur Schau stellte. Was immer er auch anfuehrte, ich konnte bei jedem Punkt nur sagen: Jener Mahmud Muhammad Taha hat recht, ein grossartiger Mann! An die schaebige Art von Polemik, wie der Verfasser jener Streitschrift sie an den Tag legte, war ich ausserdem sattsam gewoehnt, speziell aus bestimmten Kreisen in Pakistan.

Meinen Stadtbummel konnte ich daraufhin kaum noch fortsetzen, zu sehr hatte mich die freudige Erregung darueber gepackt, im Sudan auf so unerwartete Weise einen offensichtlich ganz hervorragenden Theologen zu finden, der den Mut gehabt zu haben schien, Dinge zu schreiben, die viele Freunde von mir sonst nur hinter vorgehaltener Hand zu raunen wagen. Es war eine merkwuerdige Erfahrung, fast ein wenig mystisch: Mahmud Muhammad Taha war ja erst einmal nicht mehr als ein Name, den ich noch dazu an jenem Abend zum ersten Mal gelesen hatte, aber es kam bei mir so eine Vorstellung auf von einem unbeschreiblich sympathischen Menschen. Ich kannte solche Erfahrungen aus der Sufi-Literatur und hatte mich bis dahin fuer ungeeignet gehalten, solch intuitive Beziehungen zu Personen herzustellen. Mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden, dass mir augenscheinlich die Antenne fuer Charisma fehlt. Die Gestalt, die sich an jenem Abend schemenhaft hinter dem Namen Mahmud Muhammad Taha in meiner Vorstellung abzeichnete nahm jedoch etwas von dem vorweg, was ich sah, als ich ihm dann wirklich begegnete. Bei einer Anzahl von mir sehr bewunderter Wissenschaftler und Autoren habe ich sonst in der Regel die gegenteilige Erfahrung gemacht insofern, als sie ganz und gar nicht meiner Vorstellung von ihnen entsprachen bzw. sogar ausgesprochen enttaeuschten oder ich mit ihnen nichts anfangen konnte, weil sich der Zugang zur Person nicht ergab, waehrend ich mit den Werken der gleichen Person einen lebhaften Dialog gefuehrt hatte. Ich moechte die Erfahrung mit Mahmud Muhammad Taha auch nicht zu sehr dehnen, aber es war eine Spur afrikanischer Zauber dabei, ein wenig »magic« von der angenehmsten Art. Vorerst musste ich jedoch auf eine gaenzlich un-Sufi-hafte Weise immer wieder schadenfroh ueber jenen Dozenten der Islamischen Universitaeten von Omdurman schmunzeln, der mich mit seiner rabiaten Hetzschrift auf jenen Mahmud Muhammad Taha verwiesen hatte. Fuer mich stand fest, ich musste den »Ketzer« ausfindig machen.

Mein erster Arbeitstag in Khartum war voll ausgefuellt mit Kontaktaufnahmen an der Universitaet und bei der Erwachsenenbildung. Die Hektik verdraengte erst einmal den Namen Mahmud Muhammad Taha aus meinem Denken. Als ich abends dann wieder durch die Strassen zog auf der Suche nach Buchgeschaeften, sah ich zwei Maedchen, die den Passanten Broschueren anboten, als gehoerten sie zu den Zeugen Jehovas. In einem arabischen Land ist das hoechst ungewoehnlich. Bei naeherem Hinsehen stellte es sich heraus, dass sie Broschueren des Mahmud Muhammad Taha vertrieben. In dem Moment wurde mir bewusst, dass ich den ganzen Tag ueber verschwitzt hatte, mich nach Mahmud Taha zu erkundigen. Die Adresse, die mir von den beiden Studentinnen genannt wurde, sagte mir natuerlich nichts. Es war auch gar nicht leicht, ihnen beizubringen, dass ich noch nie in meinem Leben in Omdurman war und dass dies ueberhaupt erst mein zweiter Tag im Sudan sei. Sie erklaerten mir, dass sie mich nicht hinbegleiten koennten, weil sie nur zwei aus einer Gruppe seien. Um 21 Uhr wuerde sich die ganze Gruppe an der Ecke soundso treffen, um dann gemeinsam in dem ihrer Bewegung gehoerenden Bus (ein umgebauter Lastwagen) zurueck nach Omdurman zu fahren. Direkt vor uns stand ein Taxi, und ich bat sie dann, den Taxifahrer anzuweisen, wo er mich hinbringen solle. Der wusste jedoch Bescheid - offensichtlich war Mahmud Taha eine prominente Persoenlichkeit, war meine Schlussfolgerung.

Der Taxifahrer begann dann auch mit mir zu diskutieren, obwohl er irgendwie betreten schien. Er selbst habe starke Meinungsverschiedenheiten mit Mahmud Taha. Ohne jeden Zweifel sei der Ustadh ein grosser Gelehrter und ein aufrechter Mann, aber es gebe da Punkte, wo er einfach nicht mitkoenne. Die Fahrt von Khartum nach Omdurman dauerte immerhin laenger als eine Viertelstunde, so dass ich natuerlich in ihn drang, mir doch zu sagen, worin der Meinungsstreit bestehe. Schliesslich kam er damit heraus, dass Mahmud Taha seinen Anhaengerinnen gestatte, bei der Auswahl des zukuenftigen Ehemannes ein Wort mitzureden, und ihnen auch das Recht einraeume, die Scheidung zu beantragen. Er wolle dem Ustadh keineswegs Unsittlichkeit unterstellen; denn dessen hohe Moral stehe voellig ausser Zweifel, aber mit solchen Lehren fuehre er das Auseinanderbrechen der bestehenden Gesellschaftsordnung herbei.

Ich hielt dem entgegen, dass ich den Islam ohnehin nie anders verstanden haette also so, wie Mahmud Taha ihn predigt Schliesslich wird doch in unserer ganzen apologetischen Literatur bis aufs dort hinaus wiederholt, der Islam habe die Emanzipation der Frau bewirkt, und zwar speziell, weil er auch ihr, und nicht nur dein Mann, das Recht zugesteht, die Scheidung zu beantragen. Ausserdem haette der Islam mit der Unsitte Schluss gemacht, dass man ein Maedchen gegen seinen Willen verheirate. Mein Taxifahrer schien das nicht so zu sehen. Er wusste nur, dass unter den Anhaengern des Mahmud Taha Jungen und Maedchen sich durch gemeinsame Aktivitaeten kennenlernen und aus freien Stuecken beschliessen, einander zu heiraten. Dass es dabei zu unmoralischem Verhalten komme, wolle er keineswegs unterstellen, aber so etwas gehe doch schliesslich nicht, damit wuerde doch das althergebrachte sudanesische Familiengefuege auf den Kopf gestellt werden. Der gute Mann befand sich wirklich in einem Zwiespalt, sein ehrliches Bemuehen, mit der Sache ins reine zu kommen, beeindruckte mich sehr. Nach diesem Gespraech war ich noch begieriger darauf, Mahmud Taha persoenlich kennenzulernen.

An der Tuer sassen zwei oder drei junge Leute, die mich ins Haus fuehrten ohne alle Umstaende. Der Ustadh komme gleich. Er kam nach knapp zehn Minuten auch wirklich aus dem Nebenzimmer. Mein unangemeldetes Erscheinen schien ihn nicht sonderlich zu ueberraschen. Ich erzaehlte ihm belustigt voll der Streitschrift gegen ihn, er ging darauf jedoch mit keinem Worte ein, sondern machte sich nach der Vorstellung und dem Austausch einiger Hoeflichkeiten sogleich daran, mir die wesentlichsten Punkte seiner Islaminterpretation auseinanderzusetzen. Ich hatte einige Schwierigkeiten, ihm zu folgen; denn obwohl die Sudanesen ein sehr gepflegtes Arabisch sprechen, das dem Hocharabisch sehr nahe kommt, wohl mehr als in irgendeinem anderen Land, muss man sich doch erst an den Klang gewoehnen, der afrikanisch gefaerbt ist. Ausserdem lenkte seine faszinierende Persoenlichkeit auch ein bisschen von dem Gesagten ab, ich musste mich erst mit ihm vertraut machen.

Der Ustadh sprach von der Bedeutung der mathani, der Doppelbedeutung, genauer gesagt, der doppelten Bedeutung, die ein jedes Wort im Qur‘an hat, dem zweifachen Sinngehalt, also jener beruehmten Unterscheidung der Gnostiker in exoterisch und esoterisch - in der islamischen Theologie das Begriffspaar zahir und batin. Ustadh Mahmud zog es jedoch vor, von einer »nahen« (qarib) und einer »fernen« (ba'id) Bedeutung zu sprechen. Waehrend er darueber sprach, fragte ich mich, ob er eigentlich als Araber oder als Afrikaner einzustufen sei. Ungeachtet der klassischen arabischen Bildung, die er verkoerperte als waere er eine Enzyklopaedie -, wirkte er auf mich doch mehr wie ein Afrikaner und rief Assoziationen hervor an Freunde aus Tansania und Ghana, aus Uganda und Sierra Leone. Aehnlich faszinierend war das Wechselspiel zwischen der geloesten Heiterkeit eines hoechst humorvollen Menschen und der schier grenzenlosen Entschlossenheit des Glaubenskaempfers. Sein Gesicht erinnerte mich in einem Augenblick an den brasilianischen Bischof Dom Helder Camara und, in einem anderen an Pablo Picasso in seinen ernsten Stimmungen. Unter meinen Bekannten gibt es vier oder fuenf, deren Augen in verschiedene Richtungen gehen und bei denen ich nie recht weiss, welches eigentlich ihr Blick bzw. ihre Blickrichtung ist. Ein wenig aehnlich ging es mir bei Ustadh Mahmuds Wechselspiel zwischen knallhart rationaler Theologie, im Stile der fortgeschrittensten Mu'taziliten, und mystischem Glauben. Immerhin ergab sich ein harmonisch ganzheitliches Bild. Der Ustadh gab sich so natuerlich, wie ueberhaupt nur jemand sein kann. Vielleicht war es das, was mich so zu ihm hinzog. Ausserdem schien die Sympathie gegenseitig zu sein. Er war ein geduldiger Zuhoerer und ging auf jede Frage mit seiner stets wachen Intelligenz und Menschlichkeit ein, direkt und ausfuehrlich. Wie ich spaeter erfuhr, nannten ihn die Sudanesen stolz einen »Mann von starker Ueberzeugungskraft«. Ich haette das Gespraech mit ihm stundenlang fortsetzen koennen, zog dann aber gegen Mitternacht in mein Hotel zurueck - den Kopf voller Gedanken und immer neuer Fragen, vor allem aber mit dem Gefuehl, etwas Grossartiges erlebt zu haben, an einem Wendepunkt meines Lebens angelangt zu sein.

Ich erinnere mich nicht genau, ob ich gleich am naechsten Tag wieder dort war oder erst einen Tag spaeter. Von da an aber zog es mich wie mit magischen Kraeften jeden Tag waehrend meines Sudanaufenthaltes nach Omdurman. Es gab tausend Dinge, die ich gerne getan haette, vor allem haette ich gerne jene Volkstheater besucht, die damals so aktiv waren und auch Stuecke moderner sudanesischer Literaten vorfuehrten. Es wurde jedoch nichts daraus. Ich wurde mit mehr und mehr Anhaengern des Ustadh bekannt, die mich dann auch zu ihren verschiedenen Aktivitaeten einluden, wie z.B. der allmorgendlichen Speaker's Corner auf dem Universitaetsgelaende. Hier hatten die »Republikaner« ein stets gut besuchtes Forum, eine angeregte Diskussionsrunde im Freien, jeden Tag um 11 Uhr - manche meinen, dies waere die einzig wirkliche demokratische Einrichtung im Staat gewesen.

Ohne Zweifel hatte der Ustadh seinen Spass daran, wie ich der sudanesischen Umgebung angepasst wurde, vor allem, wenn ich mich bemuehte, nach seinem Beispiel Happen des sudanesischen Gerichts weka zum Munde zu fuehren, was einem Anfaenger in der Tat einige Kunstfertigkeit abverlangt. Sein Haus glich oft einem Heerlager. Nicht nur Anhaenger kamen dort zusammen. Der Ruf eines Sufi-Predigers verpflichtete, und es stellte sich auch manch ein Gast ein, von dem man nicht recht wusste, was man von ihm halten sollte. Mir ist ein geflohener libyscher Offizier in Erinnerung, der mit seiner gesamten Familie dort Zuflucht suchte, ohne wohl richtig zu wissen, mit wem er es eigentlich zu tun hatte. Aber es fragte auch niemand.

In Khartum machte ich die Bekanntschaft eines Studenten, der ein Aktivist der verbotenen kommunistischen Partei war. Wahrscheinlich suchte er nach einer Moeglichkeit, ausser Landes zu gelangen, und klammerte sich deshalb an mich. Mein Besuch beim Ustadh schien mir eine hinreichend ruecksichtsvolle Art, ihn loszuwerden. Der Genosse war davon aber erst recht begeistert und kam schnurstracks mit nach Omdurman den Ustadh habe er schon lange nicht mehr gesehen. Ich merkte bald, dass seine Verehrung durchaus echt war. Meinen Hinweis darauf, dass Ustadh Mahmud doch ein scharfer Gegner des Sowjetimperialismus sei, qualifizierte er dahingehend, dass der Ustadh in erster Linie ein Demokrat sei, noch dazu von einer grossartigen Menschlichkeit, mit solchen Leuten koenne man auskommen, die lieferten einen nicht an die Polizei aus. Vor allem koenne man mit dem Ustadh reden, er sei immer offen fuer Dialog.

Am eindrucksvollsten waren jedoch die Zusammenkuenfte der »republikanischen« Aktivisten. Manche Unterredung mit dem Ustadh endete damit, dass der »Bus« aus Khartum eintraf, auf dem sich die Studenten zusammengepfercht hatten und nun zur Berichterstattung zurueckmeldeten. Im Anschluss daran wurden die Sufi-Hymnen gesungen, wurde auf der sandigen Strasse vor dem Haus das Gebet verrichtet oder fand das dhikr statt.

Dadurch, dass es sich um die junge Elite des Landes handelte, wurde das Haus des Ustadh in Omdurman zu einer Art internationalen Hauptquartiers. Viele der Studenten hatten lange Jahre im Ausland verbracht, es gab unter ihnen Absolventen der Universitaeten so ziemlich aller arabischen und europaeischen Staaten. Manche verbrachten gerade ihre Ferien daheim, sozusagen um bei Ustadh Mahmud wieder aufzutanken. Besonders bewegend war der Bericht eines noch sehr jungen Studenten, der eines Abends frisch hineinschneite und von den Greueln in Beirut berichtete. Es sei dort einfach nicht zum Aushalten, aber der Gedanke an den Ustadh und dessen Ratschlaege halfen ihm sehr, damit fertig zu werden. Vor allem solle der Ustadh sich keine Sorgen machen, er und die wenigen anderen Getreuen in Beirut liessen sich durch nichts erschuettern und hielten an der Lehre von der Gewaltlosigkeit fest.

Awad al-Karim Musa, der Dichter der Bewegung und »Adoptivsohn« des Ustadh, war als Parlamentsdolmetscher auf Staatskosten zu einem Spanischkurs fuer ein Jahr nach Madrid geschickt worden. Als er dort jedoch sein Sufitum zu erkennen gab, wurde die Regierung eines anderen arabischen Staates beim spanischen Aussenministerium vorstellig, und die Madrider Behoerden baten den begabten jungen Afghanenabkoemmling aus dem Sudan schliesslich, sein Studium nach drei Monaten abzubrechen.

Dank dieser internationalen Atmosphaere brauchte Mahmud Taha in der Tat nicht auf Auslandsreisen zu gehen. Im Herzen Afrikas sitzend, fuehlte er staendig den Pulsschlag der gesamten Welt und wusste nur zu genau, was die Jugend bewegte, der er seine Zweite Botschaft des Islam verkuendete und Trost spendete. Der Sufi-Begriff der hairah, der »Bestuerzung«, »Verwirrung« und »Angst um das Heil« wurde hier lebendig in der Suche einer losgeloesten Jugend nach einem Richtungsweiser. Gerade dieses Eingehen auf die Jugend im Zustand des hairan haben die Gegner dem Ustadh uebelgenommen. Im Islam sei alles klar und deutlich, da brauche niemand hairan zu sein. Die Frage ist nur, welche Darlegung des Islam die »Verwirrung« aufhebt. Die jungen Wissenschaftler fanden ihr yaqin, ihre »Gewissheit« bei Ustadh Mahmud wieder, nicht bei dessen im Formalismus des Gesetzes erstarrten Neidern.

Mahmud Taha war ein gluehender Patriot, der seinen Sudan liebte wie kaum ein zweiter. Gleichzeitig war er sich staerker als andere muslimische Theologen bewusst, wie die Welt zu einem Dorf geworden ist - zu viele Faeden liefen bei ihm zusammen, noch dazu auf einem intellektuell-spirituellen Niveau. Seine zwischen Columbia und Cambridge, Tunis und Kairo hin und her pendelnden Studenten fuehlten sich deshalb von ihm verstanden und bei ihm gut aufgehoben. Zweifellos war es ein gegenseitiger Lernprozess.

Auf die weiblichen Akademiker um ihn herum traf das sicher noch mehr zu. Fuer sie war er nicht nur al-Ustadh, sondern auch Baba, »Vaeterchen«. Er kannte die Sorge einer neuen Generation hochqualifizierter Akademikerinnen vor Arbeitslosigkeit von seinen eigenen Toechtern her. Was mich besonders beeindruckte war, dass er ihren Emanzipationsprozess nicht bremste, sondern im Gegenteil ihnen noch einen sanften Schubs gab. Das wurde mir z.B. dann deutlich, wenn er die eine oder andere der scheuen Doktorandinnen auf einen Stuhl neben mich bat und eine Diskussion zwischen uns einleitete.

Die Verlegenheit der »Republikanerinnen« hatte sicher auch damit zu tun, dass sie in einer staendigen Konfrontation mit ihrer Umwelt standen. Auseinandersetzungen gab es ja nicht nur mit den Traditionalisten, sondern ebenso mit den oberflaechlich verwestlichten Kommilitoninnen. An der Universitaet wirkten die »Republikanischen Schwestern« in ihrer einfachen weissen Macht eher konservativ, zumindest im Vergleich zu den vielen Studentinnen, die unter dem durchsichtigen sudanesischen Umhang (thob) schicke Minis trugen. Diese »Modeemanzipation« machten die »Republikanischen Schwestern« nicht mit. Ihre Haltung basierte auf einer Verinnerlichung islamischer Ethik, an der staendig gearbeitet wurde. Damit hoben sie sich sowohl gegenueber den »Modernisten« als auch den »Traditionalisten« ab, sozusagen als eine neue Kategorie von Sudanesinnen, auf die die ueblichen Schablonen nicht mehr passten.

Ich stellte bei ihnen eine gewisse Verwirrung fest, insofern, als sie von vornherein auf Streitgespraeche gefasst waren. Sie waren es nicht gewohnt, auf einen »Neuling« zu stossen, dem ihre Denkweise durchaus vertraut war. Eine ihrer »Raedelsfuehrerinnen«, Batul Mukhtar, eine Nichte des Ustadh, zeigte sich besonders perplex. Haette die Zeit gereicht, htte ich gern ihr Weltbild erweitert, indem ich ihr von meinem Lehrer, dem pakistanischen Arabisten, Ideengeschichtler und Sufi-Philosophen Sayyid Qudrat-Allah Fatimi erzaehlt haette, Seinen Unterweisungen habe ich es zu verdanken, dass ich so schnellen Zugang zu den Gedankengaengen Mahmud Tahas fand. Mein innig verehrter Fatimi ist jedoch stets ein Rufer in der Wueste geblieben Wenn immer er in die Arena stieg, war wartete das Publikum gelangweilt auf die naechste Vorfuehrung. Ein Martyrium war ihm nicht beschieden. Ustadh Mahmud Taha dagegen hinterliess eine dynamische Bewegung, die durch seinen Opfergang nicht erschuettert, sondern gestaerkt worden ist.



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1422 / 2001