Im Folgenden drucken wir
mit freundlicher Genehmigung der ZEIT einen Artikel über die Europäische
Islamtagung in Istanbul im Juni 2006 ab, an der auch Schech Bashir teilnahm. -
Wir berichteten im DMLBonn-RundRUF Nr. 3 (August 2006).
DIE ZEIT
Keine Gewalt
Die Sensation von Istanbul: Muslimische Würdenträger und Intellektuelle
verabschieden ein Manifest gegen den fundamentalistischen Terror
Von Jörg Lau
Hoch oben über Istanbul, im alten Palast der Sultane, mit Blick auf das Goldene
Horn, hatte sich am vergangenen Wochenende die erstaunlichste Versammlung von
muslimischen Würdenträgern und Führungsfiguren eingefunden, die Europa seit
langem gesehen hat. Der Großmufti von Bosnien und Herzegowina, Mustafa Ceric
aus Sarajevo, trug im vollen Habit vor der Silhouette der Süleymanye-Moschee
das Manifest der europäischen Muslime vor – die Topkap-Erklärung.
Einige der größten Autoritäten der sunnitischen Welt saßen im Publikum - der
umstrittene Jussuf Al-Karadawi aus Katar, der Mufti Ägyptens, Ali Gomaa, und
der greise Scheich Bin Bayyah aus Saudi-Arabien. Ihnen zur Seite standen die
populären Intellektuellen der jungen Generation – der Fernsehprediger Amr
Khaled aus Ägypten, Hamza Jusuf aus Amerika und der Schweizer Tariq Ramadan.
Die Weltspitze des Islams war aus Ost und West gekommen, um die
Grundsatzerklärung der europäischen Muslime zu beglaubigen. Sie enthält
unmissverständliche Worte zum »Krebsgeschwür des Terrorismus«: »Wir verurteilen
und verabscheuen die gewalttätigen Aktionen einer kleinen Minderheit von
Muslimen, die Gewalt und Terror gegen ihre Nachbarn und Mitbürger entfesselt
haben, indem sie die Lehre des Islams verdrehen.«
Diese Worte waren unter den Teilnehmern des vorangegangenen zweitägigen
Kongresses heftig umstritten, besonders angesichts der dramatischen Ereignisse
im Gaza-Streifen. So wurde ein Passus aufgenommen über »die Ungerechtigkeiten
und Leiden, wie etwa in Palästina«, die »zur Hoffnungslosigkeit und zur
Verzweiflung vieler Muslime auf der ganzen Welt beigetragen haben«.
Wohlgemerkt: Die Lage der Palästinenser trägt zur Verzweiflung bei, sie ist
nicht deren alleinige Ursache. Das ist ein Bruch mit der apologetischen
Haltung, die den Terrorismus allein als eine Reaktion auf den Nahostkonflikt
erklärt. Diese zurückhaltende Sprache kann man als Versuch der europäischen
Muslime sehen, sich von der Dominanz des Nahost-Themas zu emanzipieren, ohne
sich zu entsolidarisieren.
Die europäischen Muslime haben auch wahrlich genügend eigene Probleme, wie in
Istanbul deutlich wurde. Die brennenden Vorstädte von Paris, die Londoner und
Madrider Attentate und die Gefängnisse voller junger Muslime überall in Europa
waren das eigentliche Thema der Tagung. Vom Karikaturenstreit, der kaum erwähnt
wurde, ist ein Gefühl des Unerwünschtseins geblieben. In Istanbul wurde nach
Wegen gesucht, aus der Defensive zu kommen, nach Wegen aus der
»Opfermentalität«, die viele Redner verurteilten.
Die junge Soziologin Hebba Rauf Izzat aus Kairo kritisierte die Tendenz zur
»Einkapselung«. Statt das Anderssein zu kultivieren, solle man sich lieber
fragen, was die Muslime zum Florieren der europäischen Gesellschaften beitragen
könnten. Moscheen sollten keine Reservate sein, in denen Muslime ungestört eine
möglichst reine Identität ausbilden könnten, sondern »offene, zivile Räume«.
Tariq Ramadan ging noch weiter in der Selbstkritik: »Häusliche Gewalt,
Zwangsheiraten und die Ungleichheit von Mann und Frau müssen wir in unserem
eigenen Interesse kritisieren – nicht nur, weil es uns von außen nahe gelegt
wird.« Drakonische Strafgesetze in islamischen Ländern - wie etwa Steinigung
von Ehebrecherinnen - nannte er »unislamisch«. Er zeigte sogar Verständnis
dafür, dass sich viele Europäer vor dem Islam fürchteten: »Nicht jede Kritik an
uns ist mit Vorurteilen und Islamophobie zu erklären. Die Europäer haben gute
Gründe, Angst zu haben, wenn sie vorgeführt bekommen, was Muslime anrichten.«
Die friedliebenden Muslime müssten sich den Medien öffnen und sich als
»kritisch loyale« Bürger ihrer Nationen verstehen. Ihre Kritik sollten sie
nicht aufgrund islamischer, sondern auf der Basis britischer, deutscher,
französischer Werte formulieren. Das Ziel müsse ein »neues Wir« sein. Darum
gelte es, die alten Streitigkeiten der Herkunftsländer hinter sich zu lassen
und die »vielen guten Elemente der europäischen Kultur« anzuerkennen wie Rede-
und Religionsfreiheit, Rechtsstaat und Demokratie.
Die Schlusserklärung trägt deutlich die Handschrift des in Oxford lehrenden
Tariq Ramadan. »Die europäischen Muslime sind heute in Europa zu Hause. Sie
haben Beiträge zu Europas Vergangenheit geleistet und sind Anteilseigner
(stakeholders) seiner Zukunft.« Sie hätten »große Chancen, sich als Bürger in
einer pluralistischen Umgebung zu entfalten und vom Zugang zu Bildung,
Wohlstand und Entwicklung zu profitieren. Als Bürger sind Muslime durch das
islamische Recht verpflichtet, den Gesetzen ihrer Länder zu gehorchen,
besonders wenn sie Religionsfreiheit und soziale Gerechtigkeit genießen. Als
loyale Bürger sind sie verpflichtet, ihre Länder gegen Aggressoren zu
verteidigen.« Das ist ein Perspektivwechsel von der Umma auf die europäische
Bürgergesellschaft als Bezugspunkt.
Die Erklärung ist eine Reaktion auf die Londoner Attentate vom 7. Juli
vergangenen Jahres. Die Konferenz sollte nicht zuletzt auch ein Signal kurz vor
dem Jahrestag der Anschläge senden. Es war ein geschickter kulturdiplomatischer
Akt des britischen Außenministeriums, das Geld für das Treffen bereitzustellen.
Die britische Regierung war klug genug, die Einladungspolitik den Muslimen zu
überlassen und Istanbul als symbolischen Ort zwischen den Welten zu wählen.
Denn hier war es möglich, islamische Autoritäten einzubeziehen, die im Westen
nicht akzeptabel wären _ wie Scheich Al-Karadawi, der die »Märtyreroperationen«
in Israel und im Irak gerechtfertigt hat. In Istanbul saß er nun geduldig im
Publikum und nahm zur Kenntnis, dass europäische Redner Mal um Mal
Selbstmordterrorismus als unerträglich und unislamisch brandmarkten.
Die britische Regierung hat erkannt, dass sie selbstbewusste Partner unter den
Muslimen braucht, wenn sie die Entfremdung der islamischen Jugend stoppen will.
Sie hat dafür in Kauf genommen, dass in Istanbul einige Gruppen vertreten
waren, die in ihren Heimatländern sehr skeptisch gesehen werden _ wie etwa die
den Muslimbrüdern nahe stehende UOIF aus Frankreich und die in Deutschland als
islamistisch verteufelte Milli Görüs. Die Topkap-Erklärung gibt dieser Haltung
Recht. An einem loyalen, selbstbewussten und sichtbaren Islam müssten alle
Europäer interessiert sein. Das nächste Treffen sollte in London, Paris oder
Berlin stattfinden.
DIE ZEIT, 06.07.2006 28/2006 -
http://www.zeit.de/2006/28/Tagung-Muslime?page=all
nach oben
|