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Sachbericht

Dialog in Zeiten der Gewalt

17. Christlich-Islamische Tagung am Pfingstfest

vom 13.-16.5. 2005-07-06

 

1.     Rahmenbedingungen und Thema

 

Die 17. Christlich-Islamische Tagung am Pfingstfest fand in Zeiten verschärfter Polarisierungen zwischen muslimischer und nicht-muslimischer Bevölkerung in Deutschland statt. Insbesondere die Rolle der Medien für die Verständigung bzw. Nichtverständigung zwischen den Religionen und Kulturen wird von Fachleuten als äußerst problematisch eingeschätzt[1]. Da die christlich-muslimische Tagung am Pfingstfest von jeher einen Zusammenhang bietet, an dem Respekt und gegenseitige Achtung zwischen den religiösen Gruppierungen angestrebt wird, bekommt sie in Zeiten derartiger Spannungen besondere Bedeutung: Als Begegnungsort, an dem alltägliche Konfrontationen und Diskriminierungen zurückgelassen werden können, als Reflexionskontext für Analyse der Lage und die Suche Möglichkeiten friedlicher Verständigung, als Raum für geistliche Erbauung, Gebet und Feier.

 

Zugleich ist nicht von der Hand zu weisen: Der Dialog ist in aller Munde. Der Dialog der Kulturen und Religionen, der Dialog zwischen Menschen Deutscher Herkunft und Menschen mit Migrationshintergrund, der Dialog zwischen der Islamischen Welt und dem Westen, den neuen Europäischen Ländern und den Alten, zwischen Arbeitgebern und –nehmern usw. In der Tat: Dialog ist „in“.

 

Trotzdem nehmen die Konfrontationen zu. Im Rahmen einer Langzeitstudie an der Universität Bielefeld („Heitmeyer-Studie“) wird das Anwachsen eines Syndroms – d.h. Krankheitsmerkmals – festgestellt, das gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ genannt wird: Die Zunahme von Ressentiments und Gewaltbereitschaft gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen, wobei die Feindseligkeit gegenüber einer Gruppe auf andere Gruppen überspringen kann[2]

Dieses Syndrom zeigt sich vor allem dort, wo bisher die Mitte der Gesellschaft gesehen wurde. Dort, wo die „Normalen und Anständigen“ leben. Dort, so zeigt diese Studie, nimmt die Tendenz zu, ganze Gruppen klischeehaft zu verurteilen und abzustempeln: Juden, Muslime, Ausländer, ethnische Minderheiten, Obdachlose, Homosexuelle und – ja: Frauen. Sie seien schuld am Unfrieden, an Misswirtschaft, an Konflikten, am Unbehagen über die gesellschaftliche Krise, am Werteverlust, am Niedergang der Familie und so weiter und so weiter.

 

Grund für diese Veränderungen, so zeigt die Studie, ist wachsender Frust und Anerkennungsverlust. Je mehr die Menschen in unserem Land das Gefühl haben, ihr Schicksal selbst nicht mehr in die Hand nehmen zu können, je mehr sie verzichten müssen auf angestammte Sicherheiten und Privilegien, je größer die Angst vor der Zukunft wird, umso mehr sind sie bereit, andere für ihr Ungemach verantwortlich zu machen. Und so wächst sie und wird immer normaler, die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

 

Das schlimme daran ist, dass ein Bewusstseinswandel im Blick auf das, was als „Normal“ erachtet wird, das Gleichgewicht in unserer ganzen Gesellschaft verschiebt. Irgendwann findet man vieles nicht mehr erstaunlich oder verwerflich: Dass Juden oder Muslime für den Unfrieden verantwortlich sind, dass Frauen Schuld daran haben, dass die Familie zerstört wurde, dass Homosexuellen der allgemeine Sittenverfall zur Last gelegt wird, dass Obdachlose und Farbige angeblich selbst Schuld sind an der Missachtung und Verfolgung, die sie erleiden.

 

Wenn trotzdem überall von „Dialog“ die Rede ist, gilt wohl eine alte Regel: Das, wovon besonders viel die Rede ist, wird oft am Meisten entbehrt. Das sollte wachsam machen im Angesicht von Modeworten. Es ist nicht immer Dialog drin, wo Dialog drauf steht. Meint, wer mit Dialog Anpassung meint, Dialog? Und wer unter Dialog das Privileg der Etablierten versteht, die Regeln zu bestimmen – meint der wirklich Dialog? Wenn Orte der Begegnung geschlossen und Stellen im Dienste des Dialogs gestrichen werden, wenn ganzen Gruppen in dieser Gesellschaft eine partnerschaftliche Teilhabe an den Errungenschaften der Demokratie verweigert wird, dann hat das mit Dialog nichts zu tun. Und ebenso wenig hat es mit Dialog zu tun, wenn einseitig Migranten oder Muslime für die Entstehung von Parallelgesellschaften verantwortlich gemacht werden, nachdem ein Land sich jahrzehntelang geweigert hat, durch eine angemessene Einwanderungspolitik der Tatsache Rechnung zu tragen, dass wir ein Einwanderungsland sind.

 

Zugleich ist deutlich, dass es auch eine andere Seite gibt, die sich dem Dialog verweigert. Immer mehr Menschen – nicht nur Deutsche und Christen, auch Muslime, Juden, ethnische Gruppierungen kapseln sich ab, neigen dem Fundamentalismus zu, zeigen Haß- und Gewaltbereitschaft. Frust und Angst sind kein Privileg der Deutschen oder der Nicht-Muslime und ebenso wenig sind es die Bereitschaft zu Gewalt, Vorurteilen, Vernichtungsphantasien.

 

Darin liegt das Problem: Dass Freund und Feind oft nicht mehr zu unterscheiden sind. Dass es schwierig ist, Vertrauen aufzubauen und zu erhalten. Man merkt das sogar in interreligiösen Teams. Auch in Spannungen während der Vorbereitung dieser Tagung wurde das deutlich. Es ist wichtig, Zweifel und Misstrauen zu benennen, um neues Vertrauen aufzubauen. Es ist wichtig (und eine Frage des Mutes zu Unbequemlichkeit), Unbehagen zu äußern und genau zuzuhören, wenn die andere Seite ihr Unbehagen formuliert. Es ist wichtig, genau hinzusehen, wenn Unterschiede verbunden sind mit Unterschieden an Macht und Einfluss, in Zugang zu Privilegien oder in der Angst, solche zu verlieren. Sich auf eine solche Art von Dialog einzulassen kostet viel Zeit und Kraft. Beides ist in der Hektik von Krisen und Wechsel der Zeit nicht gerade reichlich vorhanden.

 

Die christlich-muslimische Tagung am Pfingstfest bietet Räume dafür. Sie kann das dank der finanziellen Unterstützung durch das BMI. Dafür herzlichen Dank und die Bitte, diese Unterstützung auch weiter zuzusagen.

 

 

2.     Die Fachdiskussionen

 

Nach einem ersten Abend der Begegnung am Freitag kam die Auseinandersetzung um das Kernthema der Tagung mit der Podiumsdiskussion am Samstag Vormittag zum Thema „Dialog in Zeiten der Gewalt“ scharf zur Sache. Das Podium war mit Mona Naggar als fachkundiger Journalistin, Schech Bashir Ahmad Dultz als Vertreter muslimischer Organisationen, Dr. Ekkahard Rudolph als Vertreter des Verfassungsschutzes und Dr. Annette Mehlhorn als Vertreterin von um den Dialog bemühten Bildungseinrichtungen kompetent und durchaus kontrovers besetzt. Unter der ausgezeichneten Moderation von Dr. Sabine Schiffer wurde intensiv diskutiert. Besonderer Dank ging an die Mitwirkung von Dr. Ekkahard Rudolph, auf den sich viele der kritischen Anfragen richteten.

 

Die Beiträge am Samstag Nachmittag zeichneten sich durch große Unterschiedlichkeit aus: Während Schech Münib Engin Noyan als engagierter Gläubiger sprach, trat Pfarrer Dr. Jochen Kramm als Vertreter einer christlichen Institution auf. Damit wurden die unterschiedlichen Perspektiven auf die Thematik offensichtlich.

 

Im abschließenden Feedback zur Tagung stellten einige der erfahrenen Pfingstteilnehmenden fest, dass die Fachdiskussionen sich von vergangenen Tagungen vor allem in drei Aspekten signifikant unterschieden:

a)     Das Programm war kompakter als sonst (tendenziell „zu voll“)

b)    Die Diskussionen waren kontroverser als in früheren Jahren

c)     Einige Fachreferierende hatten sich nicht auf eine Teilnahme an der gesamten Tagung einlassen können.

 

3.     Die Workshops

 

Die Workshops boten eine Vielfalt von unterschiedlichen Angeboten. Diese wurden im abschließenden Feedback bezüglich ihres Wertes unterschiedlich eingeschätzt. Besonders zufrieden äußerten sich die TeilnehmerInnen des Workshops zu Argumentationsübungen mit Dr. Coletta Latifah Damm. Auch die Tanzmeditationen mit Chadigah Kissel erfreuten sich ungebrochener Beliebtheit.

 

4.     Feier und Begegnung

 

Gebetszeiten, religiöse Feiern und ein familiär-heiterer Begegnungsabend am Sonntag gehörten zum festen Programm der christlich-muslimischen Tagung am Pfingstfest. Für Newcomer ist die Selbstverständlichkeit ökumenischer und interreligiöser Begegnung in diesen Feiern immer wieder beeindruckend. „Alte Hasen“ schöpfen aus ihnen Kraft für den folgenden Alltag.

 

5.     Kinderbetreuung

 

Die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen bei den Tagungen aus dem Bendorfer Spektrum hat Tradition. Manche Jugendliche kommen zu Tagungen mit dem Wunsch zurück, selbst Kinderbetreuung zu übernehmen. Diese Tatsache unterstützt den familiären Charakter der Tagung, bewirkt allerdings auch, dass das Kinderprogramm eher ein Beschäftigungs- als einen inhaltlichen Charakter hat. Dank elterlicher Unterstützung erarbeiteten sich in diesem Jahr aber auch die Kinder eigene inhaltliche Themenfelder.

 

6.     Fazit

 

Unterstützung für den Umgang mit Dialog- und Begegnungsfragen im Alltag war ein häufig geäußerter Wunsch in der abschließenden Feedbackrunde. Der Transfer von gewonnen Erfahrungen in der Begegnung in ein oft eher dialogfeindliches Alltagsumfeld ist oft nicht einfach. Gerade hier braucht es Unterstützung durch praktische Hilfestellungen, Reflexions- und Argumentationsübung in kontroversen Diskussionen. Sind doch die Teilnehmenden solcher Tagungen „Botschafter und Botschafterinnen“ für ihre eigenen religiös-kulturellen Kontexte und sollten dafür auch mit dem nötigen Handwerkszeug ausgestattet werden.

 

Frankfurt-Koblenz-Bonn, im Juli 2005

 

Schech Bashir Ahmad Dultz, Karimah Stauch, Chadigah Kissel, Pfr. Johannes Stein, Pfr. Horst Eisel Pfrin Annette Mehlhorn



[1] Vgl. z.B. die Untersuchung von Sabine Schiffer, Die Darstellung des Islams in der Presse. Sprache, Bilder, Suggestionen. Eine Auswahl von Techniken und Beispielen. Erlangen 2004

[2] Vgl. z.B. Wilhelm Heitmeyer „Feindselige Normalität“ in DIE ZEIT vom 11.12.2003; ders: „Die gespaltene Gesellschaft“ in: DIE ZEIT50, 2.12.2004 und ders (Hrsg): Deutsche Zustände Folge 2, Frankfurt 2003 und ders. (Hrsg) mit Wilhelm/Soeffner, Georg  (2004): Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme. Frankfurt a.M