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Unsere Aktivitaeten in der Vergangenheit / Christlich-Islamische Pfingsttagungen


Spiritualität und Solidarität in Corona-Zeiten

Geistlicher Impuls in der Online-Konferenz an Stelle der ausgefallenen christlich-muslimischen Pfingsttagung am 03.06.2021


In Corona-Zeiten… Wir haben uns daran gewöhnen müssen, oder auch nicht! Vieles habe ich vermisst, besonders im Monat Ramadan: das abendliche Zusammenkommen zum Iftar, dem Fastenbrechen, das Terawih-Gebet in der Moschee zum Einbruch der Nacht, und das fröhliche und freundliche Gedränge und Geschiebe am Morgen des Feiertages, wenn jeder noch einen Gebetsplatz … notfalls auch vor der Moschee … erlangen will.

Einiges ist mir aber doch auch gar nicht so schwer gefallen: Soziale Distanz ist eigentlich eine natürliche Einstellung für einen geborenen Westfalen, besonders für eine einsiedlerische Natur mit leicht autistischer Veranlagung, wie ich es wohl bin.

Aber: Sind dies wirklich so außergewöhnliche Zeiten? Gab es nicht immer schon Beschränkungen in Zeiten von Pandemien und Seuchen? Wir haben es bestimmt verdrängt und nicht mehr wahrgenommen, aber die menschliche Geschichte ist auch eine Geschichte der ständigen Gefährdung durch Krankheiten, die nur dort entstehen und sich ausbreiten können, wo Menschen dicht an dicht zusammenleben wollen und vielleicht auch müssen. Karantina heißt ein Hafenviertel in Beirut und auch in Dschidda, der Hafenstadt auf der arabischen Halbinsel gibt es ein historisches Viertel mit diesem Namen, in dem zu bestimmten Zeiten die Mekka-Pilger bei der Ankunft für eine gewisse Zeit - qarantina ist das italienische Wort für vierzig - isoliert wurden. Und hier in Europa gibt es auch jede Menge historische Erinnerungstücke. Pestsäulen werden sie genannt, diese großen Denkmäler oder kleinen Bildstöcke, die zumeist der Heiligen Maria, der Fürsprecherin in Notzeiten gewidmet sind, und an der Stelle einer Stadt stehen, an der die Ausbreitung der Seuche von Haus zu Haus ein Ende fand.

In unserer islamischen Tradition gibt es auch Empfehlungen, wie Frau oder Mann sich in solchen Zeiten zu verhalten habe. Eine prophetische Tradition gibt eine solche: "Wenn ihr hört, dass an einem Ort die Pest oder eine ansteckende Krankheit ausgebrochen ist, dann geht nicht dorthin. Wenn die Krankheit in euren Ort ist, dann verlasst ihn nicht."

Und sonst - welche Maßnahmen wurden sonst empfohlen? Das Gebet um Geduld in Zeiten der Bedrängnis sicherlich. Auch das Gebet um Verschonung für die eigene Person und die eigene Familie. Und darüber hinaus? Der englische Gesandte an der Hohen Pforte berichtet zu Anfang des 17. Jahrhunderts von einem besonderen Gebet, das in Konstantiniye, auch Konstantinopel oder Istanbul genannt, zu Zeiten einer Seuche in der Stadt gehalten wurde. Die religiösen Gemeinschaften, Muslime, Juden und Christen wurden angehalten, für das Wohl der Stadt und Verschonung ihrer Einwohner zu beten, aber alle am gleichen Ort, einem freien Gelände außerhalb der Stadtmauern. Interreligiös war das noch nicht. Wahrscheinlich wurde nicht miteinander gebetet, aber nebeneinander und füreinander und nicht mehr allein für sich und nur für das Wohl der eigenen Familie oder Gemeinschaft. Und Solidarität ist in Zeiten von Seuchen oder anderen Bedrohungen sicherlich geboten. Wie schnell löst sich das soziale Gewebe, der Zusammenhalt verschiedener Gruppen in der Gesellschaft auf, wenn diese in Stress gerät. Auch hier finden wir in der Geschichte unzählige Beispiele in der die Solidarität entzweibricht und marginalisierte Gruppen als Sündenböcke beschuldigt und bedrängt werden. Die Geschichte der jüdischen Gemeinden des Mittelalters und der frühen Neuzeit ist voll davon.

Und auch wir geraten heute allzu schnell in diese Falle. Wer wenn nicht die unverantwortlichen Jugendlichen oder die Wanderarbeiter aus Osteuropa oder die auf engstem Raum zusammenlebenden Roma-Familien kann denn sonst für diese beschleunigte Ausbreitung des Virus verantwortlich sein. Und ich selbst bin auch nicht frei davon, von Neid und Missgunst. Als mich mein Nachbar, ein junger, arbeitsloser Erwachsener mit einer bewegten durch Drogensucht gekennzeichneten Vergangenheit, wie üblich am Wochenende mal wieder um ein paar Euro anpumpte und dann stolz verkündete, dass er in der vergangenen Woche schon seine Impfung erhalten habe - in der Drogenberatungsstelle! Und auch nur für die ehemaligen oder noch aktiven Junkies! Da kam doch ganz impulsiv Empörung hoch. Der bekommt zuerst das, was mir als Älteren und bravem Bürger eigentlich eher zustehen würde?

Werden wir denn in diesen Zeiten etwas dazulernen? Oder uns ändern? Oder vom Geist bewegt, uns auf neue Wege begeben und uns öffnen. Oder werden wir von allen guten Geistern verlassen, nur darauf aus sein, dass bitte alles so werde, wie es vorher schon war - angeblich! Aber dann bitte in der richtigen Reihenfolge!

Große Änderungen erwarte ich nicht mehr. Jedenfalls nicht von mir! Aber mir scheint, dass sich vielleicht meine Maßstäbe verschieben könnten. Was groß und wichtig war, könnte kleiner und zweitrangig werden. Was alltäglich und gewohnt war, könnte neue Wertschätzung und Aufmerksamkeit gewinnen.

Dank der Tatsache, dass ich seit April mein Berufsleben abgeschlossen habe und mehr Zeit mit mir alleine und der Natur verbringen wollte, habe ich mich entschlossen, einem Verein beizutreten. Noch ein Verein! Das ist nur wirklich nicht mein Ding, aber da muss man gezwungenermaßen hinein, wenn man hier zu einem Kleingarten kommen will. Es erstaunt mich von Tag zu Tag mehr, wieviel guter Wille, Freundlichkeit, Toleranz und Hilfsbereitschaft sich unter so verschiedenartigen Menschen finden lässt - wenn man sich aufeinander einlässt. Die soziale Distanz ist aufgehoben, es gibt nur eine räumliche Distanz über den Gartenzaun hinweg. Und neben Erdbeerpflanzen und Ratschlägen, wie die Brennesseljauche anzusetzen sei, damit sie nicht so erbärmlich stinke, wie die Gülle vom Acker nebenan, werden auch Lebensgeschichten, Bekenntnisse und Geständnisse ausgetauscht. Vielleicht sind es die kleinen Dinge, die die Menschen zusammenbringen und zusammenhalten. Und vielleicht verlieren wir diese zu schnell aus den Augen, wenn wir das Große und Umwälzende erhoffen.

Aber um diesen Dingen Aufmerksamkeit entgegenzubringen, braucht es Zeit. Und jetzt - in diesen Corona-Zeiten könnten wir sie finden oder sie uns einfacher nehmen.

Schließen möchte ich mit einem Wort aus der prophetischen Tradition: "Es gibt zwei Gaben, deren Wert von den Menschen unterschätzt wird: zum einen die Gesundheit und zum anderen freie Zeit."


(Wilhelm Sabri Hoffmann)



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1442 / 2021